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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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Gastarbeiter nach Deutschland zu reisen. Gerüchten zufolge würden die deutschen Ärzte unsere Zähne prüfen. Wieder andere behaupteten, die deutschen Ärzte könnten unsere Zukunft am Zustand unserer Zähne vorhersagen. Vermutlich stimmte das, schließlich sind die Deutschen doch ein fortschrittliches Volk, die lesen garantiert nicht wie wir Orientalen aus der Hand oder dem Kaffeesatz, hatte ich mir, naiv wie ich damals war, gedacht.
    Nachdem der große blonde Arzt dem Bauern aus Adana ins Maul geschaut hatte, stellte er ihn zu den Verfaulten rüber. Das arme Bäuerlein rief:
    ›Ich bin erledigt‹, und fing an zu weinen.
    Dann war ich dran!
    Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten vor lauter Zittern« – so wie jetzt –, »zum einen, weil ich Angst hatte, auch zu den Verfaulten rüberzumüssen, zum anderen, weil es kalt war und wir in Unterhosen herumstanden. Wenn ich den Mund nicht weit offen gehabt hätte, hätte ich geklappert wie ein Storch.
    Der lange deutsche Doktor mit dem langen weißen Kittel umfasste mit der einen Hand mein Kinn, mit der anderen griff er mir in die Haare. Dann öffnete er mit einem Ruck meinen Mund sperrangelweit wie einen Backofen, als wollte er bis in den Magen hinunterschauen. Was mir an dem Tag sehr peinlich gewesen wäre. In meinem Magen waren nämlich nur ein kleines Stück Brot und drei schwarze Oliven. Denn das Essen, das mir meine Frau Eminanim mitgegeben hatte, war längst aufgebraucht.
    Als ich vier Wochen vorher nämlich einen Brief bekommen hatte, in dem stand: ›Osman, komm zur Untersuchung, du darfst nach Deutschland fahren‹, hatte ich auf unserem Dorfplatz einen aufsehenerregenden Bauchtanz aufgeführt und noch am gleichen Tag meinen gesamten Besitz – zwei Ziegen – verkauft. Der Großgrundbesitzer war so gütig, mir die Hälfte vom echten Wert der zwei Ziegen auf der Stelle auszuzahlen.
    Am nächsten Tag saß ich bereits im Zug nach Istanbul. Und nach dem Bezahlen der üblichen Bestechungsgelderbei den Behörden hatte ich alle Bescheinigungen zusammen, um mich beim deutschen Arbeitsamt vorzustellen. In der Zeit hatte ich aber alles aufgegessen, was meine Frau Eminanim mir mitgegeben hatte. Lediglich das Stück Brot und die drei schwarzen Oliven hatte ich mir aufgehoben. Sie sollten mir Kraft geben, die Untersuchung aufrecht stehend durchzuhalten.
    Der lange Deutsche mit dem langen Kittel beugte meinen Kopf in alle Richtungen. Anschließend klappte er mit einer schnellen Bewegung meinen Mund wieder zu!
    Tättä, tätä, täääättäääää!!!
    Die wichtigsten Sekunden in meinem Leben waren angebrochen!
    Stellt er auch mich zu den Verfaulten rüber oder nicht?
    Der Trommelwirbel, den mein Herz angestimmt hatte, war auch ohne Stethoskop für alle deutlich hörbar.
    Nein, ich hatte ein Riesenglück, ich durfte zu den Gesunden!
    Danach fing ein anderer langer blonder Arzt mit einem anderen langen weißen Kittel noch mal von vorne an. Als ich dran war, haute er mir mit der Faust zweimal auf den Rücken. Ich blieb stocksteif stehen, wie das Atatürk-Denkmal auf unserem Dorfplatz. Die drei schwarzen Oliven waren sehr erfolgreich.
    Dann sagte der kurze, dunkle Dolmetscher, mit dem kurzen und nicht so weißen Kittel, ich solle mal husten.
    ›Mein Herr, ich brauche nicht zu husten, ich bin doch nicht krank‹, sagte ich mit stolz geschwellter Brust, ›wie Sie sehen, bin ich kerngesund!‹
    Es könnte doch eine hinterlistige Falle sein, dachte ich,mich husten zu lassen und mich deshalb zu den Verfaulten rüberzuschicken, weil ich angeblich krank sei. Auf solch primitive Tricks falle ich bestimmt nicht rein.
    Daraufhin hat sich der Kurzkittel ganz kurz mit dem Langkittel unterhalten und hat mich sofort angeschrien:
    ›Huste, sag ich, du Bauerntrampel!‹
    Mit den Ärzten wollte ich mich natürlich auf gar keinen Fall anlegen – wohl oder übel hustete ich.
    ›Noch mal‹, rief der als Dolmetscher getarnte Fluch Gottes.
    ›Öhöö, öhöö …‹, hüstelte ich.
    ›Noch mal – aber richtig!‹, brüllte er.
    ›Öhööö, Öhöööööö!!‹
    ›Pass doch auf, wo du hinhustest‹, schimpfte er diesmal.
    Der lange Deutsche mit dem langen Kittel wischte sein Gesicht mit dem Taschentuch ab. Der kleine Türke mit dem kurzen Kittel fluchte wie ein Rohrspatz vor sich hin:
    ›Diese Bauern wissen nicht mal, wie sie husten sollen, und wollen nach Europa fahren. Aus diesem Volk wird nichts!‹
    ›Sehr geehrter Herr Dolmetscher, erstens hatte ich überhaupt keinen

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