1001 Nachtschichten
Holms!‹
Oh, mein Gott! Wie die Zeit vergeht! Herr Viehtreiber, ich muss sofort los! Der Busfahrer ist ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen. Gestern warf ich mich nämlich spontan vor seinen Bus, damit er nicht losfährt, und erwar nicht sehr erfreut darüber. Er sagte, noch mal würde er darauf keine Rücksicht nehmen.«
»Osman, sag mir doch wenigstens, ob der Dieb der Mörder ist?«
»Meister, der Busfahrer wird wohl der Mörder sein, wenn ich mich erneut verspäte! Also tschüüüssss!«, rufe ich gekünstelt aufgeregt und flitze los.
Um wie immer das letzte Wort zu haben, versucht Meister Viehtreiber irgendetwas zu artikulieren, aber viele dudentaugliche Wörter befinden sich dann doch nicht darunter:
»Öeeh … krkr … meeeeee …«, stammelt er hinter meinem Rücken.
Froh, dass das Kündigungsschreiben immer noch in seiner Hand ist und nicht in meiner, spurte ich direkt zu meinem Ford-Transit.
Wenn ich nicht sofort zu diesem Personälity-Marketing-Ofis hinfahre oder zum Selbst-ist-der-Mann-Center oder zum Jobcenter oder wie das gute alte Arbeitsamt jetzt auf Neudeutsch sonst noch so heißen mag, um endlich einen neuen Job zu bekommen, dann wird meine Frau mich wirklich nicht mehr zu Hause reinlassen!
Mit quietschenden Reifen halte ich vor der Behörde und stürme voller Elan in das Personälity-Arbeitsamt-Center.
Etwas ernüchtert schiebe ich meinen Hintern dort gleich auf die lange Bank. Vor mir wartet nämlich wieder eine riesige Schlange – die schnarcht! Nein, es ist nicht die Schlange, die schnarcht. Auch nicht die Bank. Die arme Bank quietscht vielmehr unter der großen Last, die sietagtäglich zu tragen hat. Insbesondere unter der Last der dicken Frau links neben mir, die, wie gesagt, unaufhörlich schnarcht.
Nach dreiundsiebzig Minuten werde ich endlich erlöst. Die Dame wird an die Hartz-I V-Schlange verwiesen, wo sie weiterschnarchen soll, und ich bekomme eine neue Schlange in der Jobvermittlungsabteilung – als wenn sie welche hätten! Jobs meine ich – Schlangen haben sie mehr als genug!
Total enttäuscht komme ich wieder nach Hause.
»Osman, erzähl doch mal: Wie ist die heutige Märchenstunde ausgegangen?«, fragt meine Frau neugierig.
»Es hat geklappt. Ich darf morgen wieder kommen, um den Rest zu erzählen.«
»Aber es gibt doch keinen Rest mehr! Diese Geschichte hat doch gar keine Schlusspointe.«
»Wer weiß, vielleicht schafft es ja Kommissar Lück bis morgen, den Mörder auf sehr spektakuläre Art und Weise zu fassen.«
»Was er bis jetzt nicht geschafft hat, wird er bis morgen auch nicht hinkriegen.«
»Okäy, dann müssen wir selber eine grandiose Schlusspointe erfinden. Was hältst du davon, dass ich mich freiwillig als Mörder ergebe, ich kann nicht mehr!«
»Das würde ich dir nicht raten. Deinem Meister Viehtreiber musst du nur einen Monat Geschichten erzählen, deinen Knastbrüdern wirst du jahrelang was erzählen müssen! Von dem scheußlichen Fraß dort ganz zu schweigen.«
Meine Frau weiß immer ganz genau, wie sie mich motivieren kann. Sie ist unbezahlbar!
Dann sagt sie mit sorgenvoller Miene:
»Apropos Fraß: Ich werde für deinen Meister was kochen!«
»Willst du ihn etwa vergiften?«, frage ich schockiert.
»Wieso vergiften? Das ist also deine Meinung über mein Essen?«, schmollt sie eingeschnappt.
»Nicht doch, mein Schatz! Ich dachte, du willst vielleicht etwas Rattengift ins Essen mischen oder so. Weshalb willst du sonst für ihn kochen?«
»Osman, du weißt doch, dass du mit deinen normalen, langweiligen Geschichten keinen Hund hinterm Ofen hervorlocken kannst. Deshalb habe ich mir gedacht, dass dein Meister von mir was zu essen bekommt. Dann hat er bessere Laune und schmeißt dich nicht sofort raus.«
»Von mir aus. Aber was soll ich ihm denn morgen bloß erzählen, verdammt?!«
In dem Moment klingelt es an der Tür. Da meine Frau schon in die Küche verschwunden ist, schleppe ich mich wohl oder übel selbst vom Sofa in den Flur.
Vor der Tür steht Herr Krummsack, unser allseits heiß geliebter Hausmeister.
»Ach, Herr Krummsack, so spät noch unterwegs? Was gibt’s denn?«, frage ich neugierig, obwohl ich aus jahrzehntelanger Erfahrung weiß, dass es keinen triftigen Grund geben muss, damit er mich beim gemütlichen Fernsehgucken brutal stört.
»Herr Engin, bitte sorgen Sie gefälligst dafür, dass diese ekelhafte Hundescheiße aus unserem Flur verschwindet«,zischt er genervt und hält sich dabei ganz schön verkrampft die
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