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1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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Spannung noch irgendwie aufrechtzuerhalten.
    Bei Allah, wie lange dauert es denn, bis so ein Rattengift wirkt?
    »Du und Mörder? Dass ich nicht lache, du Weichei«, schmatzt er und streckt seine linke Hand nach meinem Kündigungsschreiben aus, während er sich mit der rechten noch einen Frauenschenkel schnappt.
    »Öhm … öh … ich bin kein Weichei«, stottere ich und schiebe eine Serviette zu seiner linken Kralle, bevor ein Unglück passiert.
    Danke, Eminanim!!
    Wenn meine Frau überhaupt Rattengift benutzt hat, dann nur in homöopathischen Dosen, und das wirkt bei meinem Meister anscheinend eher appetitanregend.
    Aber wenn sie nicht vorhatte, ihn auf direktem Wege zuInge zu schicken, weshalb hat sie dann gestern keine halbwegs interessante Story mit mir eingeübt?
    Mein Meister wischt sich die Hand mit der Serviette ab und streckt sie erneut nach dem Damokles-Schwert aus. Ich reiche seiner ausgestreckten fettigen Hand noch eine saubere Serviette.
    Ich habe dem Spruch von meinem kommunistischen Sohn Mehmet was hinzuzufügen:
    Schwerter zu Pflugscharen – Kündigungen zu Servietten!
    »Herr Viehtreiber, Sie können mir doch nicht einfach so kündigen«, jammere ich voller Angst.
    Angst davor, dass ich vorm Zimmer 143 ab heute nicht nur meine Nachmittage, sondern den Rest meiner Tage verbringen muss! Angst davor, unsere Miete nicht mehr zahlen zu können und mit Kind und Kegel unter der Brücke schlafen zu müssen! Angst davor, gesellschaftlich absteigen zu müssen! Ich werde gleich nachher im Jobcenter mal einen arbeitslosen Soziologen fragen, ob das geht. Ich meine, kann man als Türke in der gesellschaftlichen Hierarchie Deutschlands noch mehr absteigen? Ist das rein theoretisch überhaupt möglich?
    Zum Glück klingelt in dem Moment mein Händy. Ein neuer Fall von »Händy rettet Leben«!
    Meine Frau ist am Telefon.
    »Danke, Eminanim!«, knurre ich. »Er ist weder an Rattengift krepiert, noch ist er an den Massen, die er gierig verschlungen hat, erstickt«, füge ich auf Türkisch hinzu.
    »Und? Hast du was bekommen?«, fragt sie mit zittrigem Stimmchen.
    »Ja, ich bekomme gleich die Kündigung! Bedankt habe ich mich ja eben dafür bei dir …«
    »Kann man nichts dagegen tun?«
    »Du hättest die volle Ladung Rattengift ins Essen tun sollen!«
    »Ich meine doch mit Geschichten. Was erzählst du jetzt deinem Meister, du Doofi?«
    »Doch, Osman, ich kann dir sehr wohl kündigen«, ruft Viehtreiber dazwischen, »seit Tagen mach ich doch nichts anderes.«
    »Aber wenn das so ist, dann kann ich ja gleich nach Hause gehen. Mit fünfzig finde ich keine Arbeit mehr«, jammere ich betont herzzerreißend wie ein geprügelter Hund.
    Sein Herz scheint sehr robust zu sein:
    »Ja, geh nach Hause und leg dich auf die faule Haut«, grinst er.
    »Ich meine damit aber nicht den Karnickelweg 7b, sondern Anatolien. Ich werde für immer zurückkehren«, schlucke ich.
    »Klar! Dort hast du ja auch ständig Sonne, was willst du denn noch hier«, blockt er meine aufkeimende Gefühlsduselei sofort ab und hält mir meine Kündigung direkt unter die Nase: »Hier unterschreiben, dann kannst du gehen, wohin du willst.«
    »Aber Chef, soll ich jetzt wieder einfach so zurück? Meine Heimat ist doch Bremen. Außerdem kennen Sie doch die Geschichte, wie schwer ich es einst hatte, aus Anatolien nach Deutschland zu kommen«, rufe ich mit einem geheimnisvollen Unterton in der Stimme.
    »Nein, davon weiß ich nichts«, sagt er leicht neugierig, was mich plötzlich wieder hoffen lässt.
    »Wie? Sie kennen die aufregende Geschichte nicht, wie ich nach Deutschland gekommen bin? Das gibt’s doch nicht«, tue ich höchst überrascht.
    »Nein, nicht dass ich wüsste!«
    »Aber Herr Viehtreiber, da haben Sie aber wirklich was verpasst, es ist nämlich eine total lustige und sehr, sehr spannende Geschichte«, rufe ich krampfhaft vergnügt. »Sie werden sich vor Lachen wirklich in die Hose machen. Und wie es der Zufall will, geht es in der Geschichte auch ums Pinkeln!«
    »Ja gut, nun erzähl schon, bis ich fertig gegessen habe«, ruft er ungeduldig und legt mein Kündigungsschreiben geistesabwesend wieder auf den großen Schreibtisch – hält es aber immer noch krampfhaft mit seinen Wurstfingern fest!
    »Also, Herr Viehtreiber: Es war einmal vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Ich wartete gemeinsam mit fünfzehn anderen Leuten im großen Anwerbesaal des deutschen Arbeitsamtes in Istanbul, um die heiß begehrte Erlaubnis zu bekommen, als

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