1001 Nachtschichten
Sättigungsgefühl verursacht und du mit dem Essen nicht frühzeitig aufhören musst!«
»Frühzeitig ist gut«, mosert Mehmet wieder, aber ganz leise. Er hat eingesehen, dass er mit seiner Meckerei nichts bewirken kann. Im Gegenteil, die beiden Frauen werden durch seine ständige Nörgelei in ihrem Tun noch mehr angestacheltund geraten regelrecht in eine Jetzt-erst-recht-Stimmung: Eminanim preist ihr Essen noch viel lauter und enthusiastischer an, und Ingrid schaufelt mit beiden Händen gleichzeitig im Akkord.
Nach Baklava kommen andere tolle Süßigkeiten auf den Tisch, deren Aufzählung einem Autor den Vorwurf der Zeilenschinderei einbringen würde.
Meine Frau macht sich auch nicht mehr die Mühe, sie miteinander bekannt zu machen – Ingrid mit den Süßigkeiten.
Sie ist auch voll damit ausgelastet, die neuen Tabletts und Schüsseln kunstvoll über anderen Töpfen und Schüsseln zu drapieren. Wegen des extremen Platzmangels wird das Essen mittlerweile mehrstöckig aufgebaut. Unser Esstisch sieht aus wie Klein-Mänhätten – lauter Wolkenkratzer! Von daher wird mir bei jedem Flugzeuggeräusch draußen ein wenig mulmig.
»Genier dich nicht, Ingrid, iss, iss, Mehmet, sag ihr, dass sie mehr essen soll«, schmatzt Eminanim. »Auf keinen Fall darf deine Freundin unsere Wohnung mit einem leeren Magen verlassen! Was würden dann die Leute über uns denken, vor allen Dingen, was werden deine zukünftigen Schwiegereltern über uns denken?!«
»Keine Müdigkeit vorschützen, hau rein, Ingrid«, rufe ich.
Dass sie drei Stunden später aus ihrer Wohnung von zwei Sanitätern in einem Notarztwagen abgeholt wird, kann nicht unsere Schuld gewesen sein. Wer weiß, was das Mädchen zu Hause noch alles Verdorbenes gegessen hat?
»An meinem Essen kann es nicht gelegen haben, ich habe alles taufrisch zubereitet«, ruft meine Frau zu Recht als fürsorgliche Gastgeberin reinen Gewissens.
Bei unseren deutschen Gästen passiert uns das leider sehr oft, dass sie die reichlich gewürzten türkischen Gerichte nicht gewöhnt sind und leichte Magenverstimmung bekommen. Aber wenn sie erst mal die Reißverschlüsse ihrer Hosen aufmachen und später eine Hose von mir anziehen, fühlen sich unsere Gäste wieder pudelwohl und genießen Eminanims Essen in vollen Zügen.
Montag, 28. Juni
So wie mein Meister Viehtreiber. Ich verstehe nicht, wieso
der
nicht für einige Wochen auf der Intensivstation landet, obwohl er seit Tagen unglaubliche Mengen Eminanim’schen Essens in sich reinstopft.
So wie jetzt! Er kann kaum noch atmen, geschweige denn reden.
»Hat Kommissar Lück angerufen?«, kriegt er doch noch heraus.
»Ja, hat er«, lüge ich wie aus der Pistole geschossen. Meinen eigenen Kindern habe ich seit Jahren eingebläut, dass sie nicht lügen dürfen und ehrliche Menschen sein sollen. Das werde ich ab jetzt sein lassen. Dieses Talent kann denen später vielleicht auch den Job retten. »Kom missar Lück sagte, die weiteren Ermittlungen hätten ergeben, dass Klaus das gemeinsame Kind doch nicht in die Türkei entführt hat.«
»Nicht in die Türkei entführt? Wohin dann?«
»Nirgendwohin!«
»Wo ist das Kind jetzt?«
»Das ist es ja. Inge und Klaus haben kein gemeinsames Kind! Klaus hat sich nämlich vor zwanzig Jahren erfolgreich sterilisieren lassen. Was ich vielleicht auch hätte tun müssen!«
»Dieser ganze Entführungsquatsch war also umsonst, oder wie?«
»Kommissar Lück ist halt sehr gründlich, er ermittelt in alle Richtungen. Es geht ja immerhin um einen brutalen Frauenmord, da darf man nicht zimperlich sein! Stellen Sie sich vor, am Sonntag wurden wir mit der gesamten Familie mitten auf der Straße von der Polizei gestoppt.«
Nur noch drei Tage!
Ich bin bereits auf der Zielgeraden. In drei Tagen ist dieser Horrormonat endlich zu Ende. So macht Erzählen natürlich Spaß!
»Lieber Herr Viehtreiber, Sie kennen ja Ihre Pappenheimer, bei uns Türken wird unaufhörlich gefeiert, weil ständig geheiratet wird.
Letztens hatten wir in einer einzigen Woche zweiunddreißig Einladungen bekommen. Dreizehn Einladungen zu Beschneidungsfesten und neunzehn Einladungen zu Hochzeiten. Ist ja auch normal: Beschnitten wird der Mann nur einmal im Leben, aber heiraten kann er, so oft wie er will, wenn er es sich leisten kann!
Weil ich ja überall gezwungen werde, was zu trinken, nehme ich deshalb als Fahrer auch immer meinen Sohn Mehmet mit.
Letzten Samstag hatten wir wieder ein richtig volles Programm: eine Beschneidung, zwei
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