1004 - Das Phantom in der Fremde
entdeckt hatte oder der etwas eingefallen war. Ihr Gesicht war starr geworden, und sie blickte so starr durch die Scheibe, wobei es auch nicht stimmte, denn sie schien auch in sich hineinzuschauen und dort etwas zu spüren.
»Was ist mit dir?« fragte Suko.
Alischa schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht gestört werden, aber sie sprach aus, was sie fühlte, dachte oder sah. »Es passiert«, sagte sie dann leise. »Es ist jemand gekommen. Jemand ist in Lalibelas Reich eingedrungen…«
»Wo ist das passiert?«
»Nicht hier. In Äthiopien, in meiner Heimat. In die Kirchen, in die Schlucht. Er hat sie entweiht. Er ist ein Fremder. Er will den Weg zur Bundeslade finden.«
Der letzte Satz hatte Suko eine Gänsehaut über den Körper geschickt. Er wünschte sich, an ihrer Stelle zu sein und mit ihren Augen sehen zu können, denn für ihn gab es nur einen Menschen, der es schaffen konnte, in das Labyrinth der Kirchen einzudringen.
Sein Freund John Sinclair!
Die Fragen lagen ihm auf der Zunge. Sie quälten ihn, aber er hielt sich zurück, denn Suko sah auch, daß die Mörderin immer nervöser wurde, anfing zu zittern, des öfteren den Kopf schüttelte, auch die Augen schloß, als wollte sie davon nichts mehr sehen.
»Er tut es!« rief sie plötzlich.
»Was tut er?«
»Er entweiht das Heiligtum!«
»Wer? John?«
Sie ging darauf nicht ein. Er hat die Säule gefunden. Der Wächter hat ihn nicht abhalten können. Die Blutsäule darf nicht zerstört werden. Lalibela wacht dort. Das Zeugnis aus Stein darf nicht in fremde Hände geraten. »Nein, nicht!«
Ihre Stimme sackte weg.
Und dann schrie sie.
Ja, sie schrie. Sie war nur mehr ein Bündel aus Schreien. Ihr Körper zuckte. Die gefesselten Hände warf sie hoch, wieder zurück, und plötzlich wurde Suko von einigen Tropfen erwischt, als hätte es in den Wagen hineingeregnet.
Nein, es regnete nicht, denn als er auf sein Hände schaute, sah er die roten Abdrücke…
Blut…
***
Noch im selben Augenblick wußte der Inspektor, wem er das zu verdanken hatte. Er selbst blutete nicht, aber es war viel in den letzten Minuten über das Blut gesprochen worden, und die Flecken auf seiner Haut waren nicht zu übersehen.
Er kümmerte sich nicht mehr um sich. Für ihn war die Mörderin wichtiger. Sie konnte nicht mehr normal sitzenbleiben. Eine unheimliche Kraft schüttelte ihren Körper durch. Alischa warf sich nach rechts und nach links. Dabei schlug sie mit den Armen um sich, und es war ihr egal, was sie traf, denn Schmerzen schien sie keine zu spüren. Aus ihrem Mund drangen Laute, als wollte sie sich im nächsten Augenblick übergeben. Der Oberkörper zuckte immer stärker. Sie drehte auch den Kopf, so daß Suko jedesmal, wenn er sich in seine Richtung bewegte, auch ihr Gesicht erkennen konnte.
Ein rotes Gesicht.
Eine mit Blut gesprenkelte Haut, denn es war aus ihren veränderten Augen geronnen.
Suko griff ein.
Er selbst gehörte nicht zu den schwächsten Menschen. Als er die Frau gepackt und sie auch zu sich hin gedreht hatte, da mußte er wirklich alle Kraft aufwenden, um diese Frau überhaupt in der Lage halten zu können. Er wollte erfahren, was mit ihren Augen geschehen war.
Der Anblick war schlimm!
Die veränderten Pupillen hatten sich aufgelöst. Sie waren zu einer blutigen Masse geworden, zu tatsächlich dicken Blutstreifen, die über die unteren Ränder hinwegrannen und rote Bäche auf der Haut hinterließen.
Durch die heftigen Bewegungen war das Blut auch in die Haare der Frau gespritzt. Es hatte auf dem Mantel ebenso seine Spuren hinterlassen wie auf der Frontscheibe oder auf denen an der Seite.
Plötzlich riß sich Alischa los. Sie hatte die Arme vorgestoßen und die Hände in Sukos Körper gerammt. Dicht oberhalb der Gürtelschnalle hatte sie ihn getroffen, und dem Inspektor blieb zunächst die Luft weg. Alischa aber tobte noch immer, als wollte sie sich selbst verstümmeln. Ihr Gesicht verdiente diese Bezeichnung nicht mehr, denn es war einfach nur zu einer gräßlichen Fratze geworden.
Auf der Haut lag das rotbraune Blut wie hingepinselt, und noch immer tobte sie.
Aber ihre Bewegungen erlahmten bereits. Suko, der den Schlag mittlerweile verdaut hatte, bekam mit, wie Alischa immer öfter zusammensackte, es aber schaffte, sich wieder aufzurichten, doch sie konnte nicht mehr toben.
Sie war ausgelaugt. Sie war müde geworden, und dann sackte ihr Körper plötzlich nach vorn. Sie war nicht angeschnallt. Bevor sie mit dem Gesicht gegen das
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