1007 - Totenwache
und…«
»Nein, nein, das nicht. Du kannst ruhig mit hineingehen. Vielleicht brauche ich jemanden, mit dem ich sprechen kann.«
»Ist schon okay.«
Wir stiegen wieder ein. Als Suko anfuhr, warf ich noch einen Blick auf die Mauerstelle. Auf meinem Rücken war die Gänsehaut kalt geworden. Sie fraß sich in meinen Körper hinein. Ich fing wieder an zu zittern, als wäre es kalt geworden.
Wir fuhren an. Es war ein mir bekannter Weg, dennoch kam er mir so anders vor. Ich schwieg und wischte über meine Augen. Als der Baum erschien, der dicht vor dem Haus meiner Eltern stand, da hatte ich das Gefühl, explodieren zu müssen. Hitzewellen schossen durch meinen Körper.
Suko hielt dort, wo auch ich immer gehalten hatte, wenn ich meine Eltern besuchte. Ich stellte mir erst gar nicht vor, wie es sein würde, wenn ich das Haus betrat. Ich stieg aus und ging mit leicht zitternden Knien auf den Eingang zu.
Suko besaß den Schlüssel. Er öffnete und ließ mich über die Schwelle treten. Ich zögerte noch und blieb in der offenen Tür stehen. Der Blick in die geräumige Diele war normal wie immer. Auch die Einrichtung hatte sich nicht verändert, aber es war eben nicht wie sonst. Meine Mutter kam mir nicht entgegen, um mich zu umarmen. Auch Vater begrüßte mich nicht auf seine herzliche Art. Alles war eben anders geworden, so leer, vielleicht auch tot.
Nach einer Weile hatte ich mich überwunden und betrat das Haus.
Meine Schritte waren kaum zu hören. Ich ging sehr behutsam weiter, schaute nach vorn, und irgendwo tief in meinem Innern rechnete ich noch immer damit, daß meine Eltern kommen und mich begrüßen würden, aber das geschah nicht, und das würde auch nicht mehr geschehen.
Meine Augen zuckten. Der Boden war geblieben wir immer, und trotzdem kam er mir weich vor. Als wäre ich dabei, über einen schwankenden Teppich zu schreiten.
Die Tür zur Küche stand offen. Es glich schon einem Automatismus, als ich mich nach rechts wandte, und meine Schritte dorthin lenkte. Es war alles wie immer. Keine Veränderung. Und dort war die verdammte Leere, denn niemand hielt sich in der Küche auf, die einmal das Reich meiner Mutter gewesen war.
Nun nicht mehr.
Jetzt war alles vorbei.
Suko hatte den Raum nicht betreten. Er war in der offenen Tür stehengeblieben und schaute mich an.
Ich ging durch den Raum. Mal berührte ich den Teppich, dann einen Stuhl. Auch die Spüle ließ ich nicht aus oder die Schränke darüber. Ich war einfach dabei, auf meine Art und Weise irgendwo Abschied zu nehmen, obwohl ich mir kaum darüber klar war.
Dann ging ich in einen anderen Raum: das Arbeitszimmer meines toten Vaters. Hier hatte Suko gegen eine Agentin gekämpft, die ebenfalls von Lalibelas Geist besessen war. Die Spuren waren noch überall sichtbar. Auch dieses Zimmer durchschritt ich, wobei ich immer wieder die Dinge anfaßte, die meinem Vater gehört hatten.
Es war alles so anders geworden…
Als ich mich wieder umdrehte, stand Suko vor mir. »Möchtest du auch die anderen Räume sehen?«
»Nein, nicht mehr.« Meine eigene Stimme erkannte ich kaum wieder.
»Dann können wir jetzt fahren, John?«
»Ja, das denke ich.«
Er schwieg sich über das Ziel aus, als wollte er das Wort Leichenhalle nicht mehr in den Mund nehmen, aber es war klar, daß wir das gleiche dachten.
Bisher hatte ich nur vom Tod meiner Eltern gehört, sie aber noch nicht gesehen. Das würde sich nun ändern, und ich fragte mich schon jetzt, wie ich darauf reagieren würde. Eine Antwort konnte ich darauf nicht geben, denn alles verschwamm in meinen eigenen Gedanken. Ich lief auf zittrigen Beinen wieder auf den Wagen zu, während Suko hinter mir die Haustür verschloß. Ich wartete auf dem Beifahrersitz auf ihn. Durch die Seitenscheibe sah ich ihn ankommen. Sein Gesicht war sehr ernst, denn er konnte meine Gefühle nachvollziehen.
»Okay, John«, sagte er, als er einstieg.
Obgleich er nur ein Wort ausgesprochen hatte, wußte ich, was er meinte. »Dann fahr los, bitte!«
Es war nicht weit. In Lauder lag alles nah beisammen. Ich wünschte mich plötzlich ganz weit weg. Herausgezogen aus der Realität, mit der ich nur schwerlich zurechtkam. Aber es war unmöglich, vor den Tatsachen davonzulaufen, und so ließ ich mich von meinem Freund Suko fahren.
Nichts gegen die Conollys, Jane Collins oder meine anderen Freunde, aber ich war in diesem Fall froh, daß sie nicht hier waren.
Mit dieser Sache mußte ich allein zurechtkommen.
Dann tat ich etwas, was
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