1008 - Ein Computer spielt verrückt
linsenköpfige Blues-Sprößlinge und Siganesen-Flöhe.
Sanja wußte bald nicht mehr, wo ihr der Kopf stand, denn sie mußte sich nun persönlich um diesen Kinderhaufen kümmern. Und da zeigte sich ihre Ratlosigkeit.
Sie konnte sich nicht mehr damit behelfen, daß sie die ganze Gruppe vor die Terminals setzte und Albert entsprechend programmierte, daß er mit ihnen individuelle Erziehungsspiele machte.
Sie konnte nicht das Psychogramm eines Bengels abberufen und in einer Hochrechnung die beste Methode ausklügeln, um ihn zur Räson zu bringen. Sie mußte sich selbst engagieren, denn die Terminals waren versiegelt.
Sie konnte nicht mehr die Kinder selbst bestimmen lassen, welche Mahlzeiten sie einnehmen wollten. Die automatische Küche lieferte nicht mehr. Jetzt waren die Kontorköche am Zug. Sie brachten zweimal am Tag einen Einheitsbrei (der ihr von einem Ertrusergör schon mal an den Kopf geworfen worden war) und zweimal Zwischenmahlzeiten. Es nützte Sanja wenig, daß sie den Kindern erklärte, wie gesund diese Einheitsnahrung sei und daß der Geschmack und die optische Aufbereitung von etwas eben nicht alles war.
Die Kinder waren verwöhnt, und das war ihre Schuld.
Manchmal war Sanja der Verzweiflung nahe, und sie wollte am liebsten alles hinschmeißen. Aber dann stand sie solche Krisen durch und redete sich ein, daß sie, wollte sie in Anspruch nehmen, eine gute Kinderschwester zu sein, diese Bewährungsprobe bestehen mußte. Sie biß die Zähne zusammen und gab ihr Bestes - und siehe da, gelegentliche Erfolge stellten sich ein.
Einmal hatte sie den Einfall, die Rolle Alberts einfach zu übernehmen und mit den Kindern ein Gemeinschaftsspiel zu veranstalten. Für eine ganze Stunde bekam sie die Kinder gut in den Griff. Aber dann riß ihr der Faden, und die ganze Bande wurde wieder unausstehlich.
Das sprach sich natürlich herum, die Kinder nahmen zu Hause kein Blatt vor den Mund und offenbarten Sanjas Unfähigkeit ihren Eltern. Es kam sogar so weit, daß Sanja vom Chefpsychologen des Kontors aufgesucht wurde.
Dieser erkannte das eigentliche Problem jedoch nicht, und da er vom Umgang mit Kindern noch weniger verstand als Sanja selbst, konnte sie ihn durch Fachsimpelei beeindrucken und sich seines lobenden Berichts versichern. Sich selbst machte sie jedoch nichts vor. Sanja wußte, daß sie noch viel nachzuholen hatte.
Und sie betrachtete den Notstand von der positiven Seite und beschloß, diese computerlose Periode dazu zu nutzen, sich mit der Psyche der Kinder vertraut zu machen.
Wie gesagt, das war kein leichtes Unterfangen, aber Sanja begann Spaß daran zu finden.
Sanja hatte unter den Kindern einen Liebling. Er hieß Olaf, war sieben und der Sohn eines Technikers. Bis vor Ausrufung des Notstands war Olaf ihr Nesthäkchen gewesen.
Sie mochte ihn wegen seiner ungewöhnlichen Auffassungsgabe, seiner Artigkeit und seiner stillen Zurückhaltung. Und wegen seines Lächelns.
Sie hatte ihn oft heimlich beobachtet, wenn er am Monitor saß und unter Alberts Anleitung zeichnete oder Worte einer eigenen Kindersprache schöpfte. Olaf ging in dieser Beschäftigung auf, und er zeigte dabei sein glücklichstes Lächeln.
Aber kaum war Albert ausgekoppelt, hatte man die Terminals versiegelt, da wurde Olaf unausstehlich. Er bekam Wutausbrüche, die schon an epileptische Anfälle grenzten.
Diese psychosomatischen Störungen wurden von Doc Almadins Assistenten Raignoa als „Computerentzugserscheinung" diagnostiziert, und er behandelte Olaf daraufhin mit Pillen. Sanja beobachtete jedoch, daß Olaf sich einer Reihe von Tricks bediente, um die Pillen nicht schlucken zu müssen. Sie konnte es dem Jungen gar nicht einmal verübeln und nahm sich vor, sich persönlich um ihn zu kümmern.
Nach und nach beruhigte sich Olaf auch wieder. Da sein Vater - eine Mutter hatte er nicht mehr - im Dauereinsatz war, blieb Olaf auch des Nachts in Sanjas Obhut, sie ersetzte ihm praktisch die Eltern. So hatte sie ihn ständig um sich und konnte ihn beobachten und sich seiner besonders annehmen.
Olaf wurde wieder zu dem stillen, artigen und glücklich lächelnden Jungen von früher.
Sanja war jedoch objektiv genug, um sich einzugestehen, daß diese Wandlung nicht auf ihr Konto ging. Darum ging sie der Sache nach.
Eines Nachts merkte sie, wie Olaf sein Zimmer verließ und den Spielraum aufsuchte.
Er begab sich zu einem der Terminals, und - Sanja traute ihren Augen nicht - der Spielschirm leuchtete auf, und Albert meldete
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