1009 - Kometen-Geister
nach vorn ging, da hörte ich die leise Stimme seiner Mutter. Sie rief seinen Namen, und das Wort klang wie ein unheilvoller Schrei.
Sie ging trotzdem auf ihren Sohn zu. Muttergefühle ließen sich nicht so einfach stoppen. Ich wollte Carol Simmons auf keinen Fall in Gefahr bringen und nahm ihr mit einem langen Schritt den Weg.
»Nicht jetzt!«
In ihrem Blick flackerte die Panik. »Ich kann doch nicht - der Junge ist…«
»Es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Wir müssen ihn gehen lassen, Carol. Bitte, verstehen Sie das. Wir können ihn nicht behalten. Noch nicht. Er ist im Moment ein anderer!«
Carol Simmons hatte das bestimmt nicht begriffen, aber sie nickte. Sie war auch zu schwach, um etwas zu unternehmen. So starrte sie Brian nach, der an ihr vorbeigegangen und die Tür der Blockhütte ansteuerte. Von ihm selbst war nichts zu hören. Er sprach nicht, und selbst sein Atem fiel aus, obwohl ich nicht glaubte, daß ich in ihm einen Zombie vor mir hatte.
Brian öffnete die Tür. Er zog sie aber noch nicht auf, und wieder hörten wir Drakes Stimme. »Er ist so nahe. Der Komet ist so nahe. Er wird uns holen. Er wird uns zu sich zerren, und wir werden eins mit ihm. Staub zu Staub…«
Ein klirrendes Geräusch ließ mich zusammenschrecken. Carol Simmons war gegen eine Vase gestoßen. Sie war vom Tisch gerutscht, zu Boden gefallen und zerbrochen.
»Nicht hinterher!« flüsterte ich.
Sie nickte.
Brian hatte die Tür mittlerweile geöffnet. Er ging ins Freie und schaute sich dort um. Mal bewegte er den Kopf nach rechts, dann wieder nach links, wie jemand, der schauen will, ob die Luft auch rein ist.
Sie war es für ihn.
Er schlug den Weg nach links ein, an dessen Ende der Parkplatz lag. Bisher war ich stehengeblieben. Nun hielt mich nichts mehr. Ich ging dem Jungen nach. Der erste Blick nach draußen zeigte mir, wie stark sich das Wetter verändert hatte. Der Himmel hatte seine Bläue verloren. Die Wolken waren grau geworden, aber sie bedeckten das Firmament nicht völlig. Es gab noch Lücken, durch die das Blau leuchtete.
Wind fuhr nicht nur über den See hinweg, sondern auch an den Häusern entlang und in sie hinein, falls irgendein Fenster oder eine Tür offenstand. So bekamen auch wir ihn zu spüren, als hätte jemand einen kalten Lappen in das Haus geschleudert.
Bevor ich Brian nachging, warf ich noch einen Blick zurück auf seine Mutter.
Carol Simmons sah aus, als käme sie nicht von dieser Welt. Sie starrte ins Leere. Ihre Gedanken schienen sich irgendwo verfangen zu haben und bildeten nun ein Gespinst, aus dem es beinahe unmöglich war, sich zu lösen.
Ich hoffte nur, daß sie im Haus zurückblieb, denn um den Jungen wollte ich mich allein kümmern.
Brian ging an der Reihe der Blockhütten vorbei. Ich wußte nicht mal genau, ob sie auch bewohnt waren. Auf dem See blähte sich kein Segel mehr. Die Fläche wirkte wie leergefegt, und die Oberfläche des Wassers zeigte eine wilde Unruhe.
Brian schaute weder nach rechts noch nach links. Er ging starr geradeaus und wirkte wie ferngelenkt. Etwas aber spürte ich sehr genau. Der Untergrund war in Bewegung geraten. Hier arbeiteten die uralten Kräfte und Mächte, die möglicherweise noch auf das Wirken des alten Schamanen zurückzuführen waren und sich so lange gehalten hatten, bis sie endlich freikamen.
An einem der Häuser war etwas losgerissen worden. Aber es hing noch fest. Bei jedem Windstoß, der den Gegenstand traf, hörte ich ein klapperndes Geräusch, als hätte jemand alte Knochen gegeneinander geschlagen.
Ich wollte nicht akzeptieren, daß Brian einfach nur losgegangen war. Er mußte ein Ziel haben, zu dem ihm die anderen Kräfte hinlenkten. Als ich über seinen Kopf hinweg nach vorn schaute, da fiel mir auf, daß die klare Luft an einer bestimmten Stelle verschwunden war. Und zwar dort, wo die Häuser aufhörten und der Parkplatz begann.
Dort schien Nebel über den Boden zu wehen. Allerdings ein ungewöhnlicher Nebel, der nicht feucht war und sich aus langen, schwingenden Staubfahnen zusammensetzte.
Auch Brian hatte diese Veränderung längst erkannt. Er reagierte entsprechend, denn er ging schneller. Das war deutlich zu hören.
Etwas trieb ihn voran. Der Geist, alles Unheimliche, das in ihm steckte, war noch stärker geworden.
Die Männer hatten sich im Wald verbrannt. Aber ihre Asche war nicht verschwunden. Sie hatte es geschafft, sich mit dem Geist des alten Indianer-Schamanen zu verbinden, und so war es mit dem Erscheinen des Kometen
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