101 - Gangster in London
Sie es nicht mehr nötig, Ihr Geld mit - mit Schmuggel zu verdienen?«
Er lächelte belustigt. »Nein. Ich lasse mich jetzt als Landjunker in England nieder, kaufe ein Gut und verbringe meine Tage in Frieden.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das liegt Ihnen nicht.«
»Sie beurteilen mich richtig!« Er reichte ihr die Hand. »Sehr bedauerlich, daß wir nicht zu einer Verständigung gekommen sind! Meiner Meinung nach ist es töricht von Ihnen, mein Angebot nicht anzunehmen; aber ich muß Sie trotzdem bewundern... Ich begleite Sie nicht bis zur Haustür, und zwar aus Gründen, die ich Ihnen nicht näher erklären kann. Alberto wird Ihnen ein Taxi besorgen; er ist tapferer als ich.«
Sie wunderte sich über diese sonderbare Bemerkung. Als sie später am Vormittag Terry sah, sagte sie ihm nichts von Eddies Angebot und ihrem Besuch am Berkeley Square. Er war mit einem Ingenieur zum Cavendish Square gekommen, um den Absturz des Flugzeugs noch genauer zu untersuchen. Nachher versäumte er natürlich nicht, bei ihr vorzusprechen.
Als er von der guten Stellung hörte, die sie in Aussicht hatte, war er begeistert. »Dorries? Gute, alte Firma... Und Sie haben wirklich Glück, daß man Ihnen ein derartiges Gehalt bietet! Wie sind Sie denn dazu gekommen?«
»Wahrscheinlich durch die Vermittlungszentrale. Ich erhielt eine telefonische Aufforderung, mich vorzustellen. Die Büroräume liegen in einem ruhigen, stillen Haus in Austin Friars. Es gehört eine kleine Bank dazu und ein Exportgeschäft. Morgen trete ich meine Stellung hoffentlich schon an.«
Und am nächsten Tag war sie pünktlich um neun bei der Firma und wurde fest angestellt. Als man ihr das Büro zeigte, in dem sie arbeiten sollte, glaubte sie zu träumen. Es war ein vornehmer, mit dunklem Eichenholz getäfelter Raum. An den Wänden hingen die Bilder der großen Dorries, die früher einmal die Firma geleitet hatten.
»Ja, es stimmt, Miss Ranger!« erwiderte der Prokurist auf ihre Frage. »Mr. Dorries hat ausdrücklich Anweisung gegeben, daß Sie in diesem Hauptbüro arbeiten sollen.«
»Ist er hier?«
»Nein, er kommt niemals her. Er wohnt in Kent. Unser Geschäft geht nicht mehr so flott wie früher und hat leider nicht mehr seine einstige Bedeutung.«
Der alte Prokurist unterhielt sich eine Stunde lang mit ihr und erklärte ihr die bei Dorries üblichen Geschäftsmethoden. Sie erkannte sofort, daß die Firma bei diesem Betrieb allmählich sanft entschlummern würde. Ein deprimierender Gedanke!
Am Nachmittag hatte sie eine Unterredung mit dem Leiter der Bankabteilung. Dabei entdeckte sie zu ihrem Erstaunen, daß sie gewissermaßen die Leiterin der Firma geworden war. Sie hatte Vollmacht, Schecks in jeder Höhe zu zeichnen und rechtsgültige Verträge zu schließen. Sie unterstand nur der etwas undeutlich umschriebenen Kontrolle Dorries und seines Partners Pattern.
»Für eine junge Dame Ihres Alters eine außerordentlich große Verantwortung!« meinte der Bankleiter freundlich. »Wir haben ein offenes Kontokorrent von achtzigtausend Pfund, außerdem ein Deposit von über hunderttausend.«
Auch den übrigen Angestellten wurde sie vorgestellt. Unter ihnen war auch ein energischer, verhältnismäßig junger Mann, ein Mr. Morris. Er erregte sofort ihr Interesse, denn er war verschlossen und schweigsam. Bei dem Prokuristen und den älteren Angestellten war er höchst unbeliebt, obwohl er erst seit drei Monaten als Kassierer in der Firma arbeitete. Leslie hatte noch nicht einen Tag in der Firma verbracht, als sie schon herausfand, daß dieser wenig beliebte Kassierer der einzige Tüchtige im Haus war. Er leitete das im Augenblick wieder ziemlich bedeutende Importgeschäft und entschied über Kredite, die die Firma gab. In allen Dingen wußte er Bescheid, verabredete die Besprechungen, die Leslie mit den Vertretern anderer Firmen führen mußte, hielt sie auf dem laufenden über den Bankkredit und beriet sie bei allen Transaktionen.
Als sie abends das Büro verließ, bat sie der Prokurist noch um eine Unterredung. »Ich muß Ihnen noch etwas mitteilen, was ich heute morgen vergessen habe, Miss Ranger. Unser Mr. Dorries läßt Sie bitten, unter keinen Umständen die Geschäfte der Firma mit irgend jemand Außenstehendem zu besprechen.«
»Diese Warnung ist überflüssig!« erwiderte sie, fast ein wenig verletzt.
Die ersten drei Tage vergingen ihr sehr schnell. Sie versuchte, neue Methoden einzuführen, den Geschäftsgang zu verbessern und Vorurteile
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