102 - Die Gottesanbeterin
Meter groß war, entschied sich Dorian für eine Größe von zwei Metern und zehn. Die Schulterbreite sollte der eines Kleiderschranks entsprechen.
Der Dämonenkiller meditierte. Manchmal strich er über einen bestimmten Körperteil, dessen Aussehen er ändern oder hervorheben wollte. Eine kleine Unachtsamkeit hatte er begangen, aber das merkte er erst später.
Dorian hatte das Gefühl, den gewünschten Effekt erreicht zu haben. Nein, etwas fiel ihm noch ein. Eine dröhnende Stimme wollte er sich zulegen; sie sollte so laut sein wie ein Nebelhorn.
Dorian beendete seine Meditation. Erst jetzt sah er, daß die Kleider, die er als Richard Steiner getragen hatte geplatzt waren. Er strich sich über die Stirn, vielmehr, er wollte sich darüber streichen. Aber da war kaum etwas von Stirn da.
„Beachtlich!" sagte Dorian.
Seine Stimme grollte wie Donner. Er trat an den magischen Tisch und beschaffte sich ein Bärenfell zum Umhängen und eine wuchtige Keule. Den Vexierer nahm er mit. So ausgerüstet, begab er sich in den Nebenraum, um das magische Samuraischwert zu schmieden.
Dorian hatte ein paar Stunden anstrengender Arbeit vor sich, obwohl er den Prozeß abkürzte. Er mußte wie die alten japanischen Schwertschmiede vorgehen, die Meister ihrer Kunstwaren.
Der Kern der Schwertklinge wurde aus verhältnismäßig weichem, geschichtetem Material geschmiedet, das nicht brach. Das Äußere und die Schneide der Klinge bestanden aus Stahl verschiedener Härtegrade, der mindestens zwanzigmal zusammengeschweißt und wieder ausgeschmiedet wurde. So entstanden über eine Million Schichten. Die weichen Stahlteile verhinderten, daß das Schwert spröde wurde und brach; die harten verhinderten ein schnelles Abstumpfen.
Der letzte Schritt bestand darin, die beinahe fertige Klinge mit einer dicken Schicht Lehm zu überziehen, wobei nur die Schneide freiblieb. Dann wurde die Klinge erhitzt, bis sie eine bestimmte Farbschattierung bekam. Diese ließ sich am besten in der Morgendämmerung in einem verdunkelten Raum erkennen. Danach wurde die Klinge in kaltes Wasser geworfen. Die freie Schneide kühlte sofort ab und erstarrte zu extremer Härte. Der Rest der Klinge, vom Lehm geschützt, gab die Hitze langsamer ab und blieb weicher.
Das Endergebnis war ein elastisches Schwert, überzogen von einer dünnen Schicht härtesten Stahls. Die Schneide war derart scharf, daß Dorian sich auch nach mehreren Schlachten noch damit rasieren konnte.
Dorian ging ans Werk. Die Stunden vergingen.
Der Hakone-Nationalpark liegt am Fuße des Fudschijama in einem Vulkankrater von vierzig Kilometern Durchmesser. Der Park ist von Straßen, der Eisenbahn und Seilbahnen erschlossen und wird der schönste Japans genannt. Von vulkanischen Gipfeln umgeben, liegen hier der Ashi-See und die Badekurorte Yumoto, Tonosawa, Miyanoshita, Kowakidani und Gora.
Jährlich lockte der Nationalpark Hunderttausende von Touristen an, Japaner wie Ausländer. Zu diesen gehörte auch die Touristengruppe unter Eisaku Yaschagai. Im Auftrag eines japanischen Reisebüros hatte er die zwanzig Ausländer drei Tage lang im Gebiet des Fudschijama und des Fuji- Hakone-Izu-Nationalparks herumgeführt.
Eisaku Yaschagai, ein altgedienter Fremdenführer, hatte sein japanisches Lächeln bewahrt. Nach einem Teehausbesuch hatte er Mr. Ralph Fiddler klargemacht, daß die japanischen Geishas keine Callgirls waren. Es hatte ihn auch nicht aufgeregt, daß Mijnfrouw Antje Keizerfeldt aus Rotterdam den Hakone-Gongen-Schrein unbedingt mit Schuhen an den Füßen betreten wollte; dafür wäre sie unter Umständen von den aufgebrachten Japanern gelyncht worden.
Am dritten Tag der Reise, dem 24. April, schlug der Fremdenführer der Gruppe vor, einen Ort abseits des üblichen Touristenrummels zu besuchen. Es sollte eine Überraschung werden. Von den schon ziemlich geschlauchten Touristen interessierten sich nur fünf für dieses Programm.
Eisaku Yaschagai zog mit ihnen am Nachmittag los. Die anderen blieben in Moto-Hakone. Am nächsten Tag sollte es nach Shimoda weitergehen. Eisaku Yaschagai beförderte seine Gruppe mit einem Datsun-Kleinbus am Ashi-See entlang und in ein Seitental des Mount Koma. Der Weg wurde immer schlechter, aber das konnte der Stimmung der fünf Touristen keinen Abbruch tun. Es waren der auf Geishas versessene Ralph Fiddler, die senkfüßige Antje Keizerfeldt, ein schmerbäuchiger, rotgesichtiger Belgier sowie ein junges französisches Liebespaar, das immer schon sehr früh sein
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