1035 - Die Totenkammer
haben, was sie vorhatte. Aus dem Stand startete sie. Sie sah nur die Tür. Alles andere war für sie uninteressant geworden. Dieses Ziel mußte sie erreichen, denn sie wußte auch, daß die Tür nicht verschlossen war.
Die Studentin war schnell – schnell wie nie zuvor in ihrem Leben.
Der Boden flog förmlich unter ihren Füßen weg. Sie hatte nicht einmal das Gefühl, ihn zu berühren. Aber sie durfte sich nicht mit vehementer Gewalt gegen die Tür werfen. Da hätte sie unter Umständen die Klinke verfehlen können.
Deshalb stoppte sie etwas ab.
Allerdings bekam sie nicht mit, was hinter ihrem Rücken passierte.
Dort hatte der Mann die Schlinge, die noch zusammengelegt war, aus der Tasche geholt.
Er beeilte sich nicht sonderlich. Jede seiner Bewegungen war genau getimt.
Er ließ die Frau laufen, die trotz allem einen Fehler beging. Sie war zu schnell gewesen und hatte nicht hart genug vor der Tür gestoppt.
So war sie dagegengeprallt, als sie nach der Klinke getastet hatte, und ihr Kopf war dabei nach hinten geschleudert worden.
Eine ideale Position.
Es war möglich, daß sie noch das leise Sirren der Schlinge hörte, als sie dicht vor ihrem Gesicht entlangglitt und sich noch in der gleichen Sekunde in der weichen Haut ihres Halses festfraß…
***
Da war die Tür, da war die Klinke – und…
Nichts mehr. Keine Chance, den Fluchtweg zu öffnen. Plötzlich konnte sie keinen Atem mehr schöpfen. Alles an ihr zog sich zusammen. Ihr Hals wurde plötzlich zugedrückt und fing an zu brennen, als wäre ein inneres Feuer entfacht worden.
Eine starke Kraft zerrte sie zurück und Mandy merkte, wie sie den Halt verlor. Trotzdem suchte sie nach einer Stelle, an der sie sich festhalten konnte. Ihre schwankenden und zuckenden Arme und Hände fanden nichts, und so kippte sie weiter dem Boden entgegen.
Mandy erreichte ihn nicht.
Ein irrsinniger Schmerz, in dem sich alle Schmerzen dieser Welt zu vereinigen schienen, raste durch den Hals hinein und in ihren Kopf.
So etwas konnte es nicht geben, und der Schmerz wurde für sie pechschwarz.
Schließlich fiel sie doch zu Boden.
Das merkte Mandy nicht mehr.
Sie war schon tot. Der Druck der Schlinge hatte ihr tatsächlich das Genick gebrochen…
***
Der Mörder räusperte sich. Sein Herz schlug schnell, die Lungen bebten. Auch er hatte unter einem irrsinnigen Streß gestanden. Für ihn allerdings war er positiv gewesen, denn er brauchte nur nach unten zu schauen, um seinen Erfolg zu sehen.
Da lag Mandy Frost und war tot.
Die fünfte!
Tief atmete er durch. Seine Freude war noch immer vorhanden, aber sie erreichte allmählich das normale Maß. Jetzt ging es ihm wieder gut. Das fünfte Opfer. Es war ihm praktisch freiwillig in die Arme gelaufen.
Fünf Tote für die Hölle!
Jetzt würde sich das Tor zum Jenseits öffnen und seiner Frau freie Bahn geben.
Der Mann ließ die Tote liegen und ging hin zum Licht. Dort schaute er auf das Bild seiner verstorbenen Marita und hauchte einen Kuß auf ihr Gesicht. Die Tränen konnte er nicht unterdrücken und flüsterte mit erstickt klingender Stimme: »Bald, meine über alles Geliebte, bist du wieder bei mir. Bald kann ich dich in die Arme schließen. Dann werden wir gemeinsam zu den Plätzen hinfahren, an denen wir glücklich gewesen sind. Das ist ein Versprechen…«
Danach steckte er das Bild wieder weg. Der Mann trug es immer bei sich. Wenn er in seinem nur halb belegten Ehebett schlief, fand es seinen Platz auf dem Nachttisch, damit er es immer sah, wenn er mal in der Nacht aufwachte, weil ihn seine Träume bis hin zu Marita geführt hatten, die jetzt so kalt in diesem Sarg aus Glas lag.
Der Killer führte nichts hastig durch. Sein Weg war genau vorgezeichnet. Er ging hin und öffnete die Tür der Nische so weit wie möglich. Mit einer Taschenlampe leuchtete er in den benachbarten Lesesaal hinein und war sehr zufrieden, weil er ihn leer fand.
Er ging wieder zurück zu seinem Opfer, das noch immer verkrümmt am Boden lag. Mit nahezu zärtliche Bewegungen löste er die straff gespannte Schlinge vom Hals der Toten, faltete sie wieder pedantisch zusammen und steckte sie weg.
Er war auch weiterhin zufrieden. Spuren mußten noch verwischt werden. Seine Prints wischte er ab, löschte das Licht und putzte noch einmal über den Schalter.
Es war perfekt gelaufen. Den Rest würde er auch noch hinter sich bringen. Allmählich half ihm dabei die Routine. So ging er hin und hob die Leiche an.
Er wuchtete sie über seine linke
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