1035 - Die Totenkammer
innen.
Ich folgte ihr.
Über die Schwelle sprang ich hinweg. Es war ein kräftiger und ein langer Satz, der mich in eine Küche brachte.
In meinem Job hatte ich es gelernt, innerhalb weniger Sekunden den Eindruck einer neuen Umgebung sehr genau aufzunehmen. Das war auch hier der Fall.
Ich sah das Fenster, die dunklen Anbaumöbel der Küche. Die heller glänzende Spüle. Eine Schublade, die offenstand – das alles bekam ich noch während des Sprungs mit.
Dann berührten meine Beine den mit kleinen Fliesen bedeckten Boden. Ich bekam irgendwie mit, daß die Tür hinter mit nur für einen Moment gestoppt hatte, und wieder zuflog. Aber sie war mit der Klinke nicht gegen die Wand geknallt, das hätte ich einfach hören müssen.
Ich drehte mich auf der Stelle.
Aber auch die Untote bewegte sich.
In der Bewegung bekam ich die andere mit. Nur bestand sie nicht aus einer Drehung. Die Gestalt mit dem bleichen Gesicht und den tiefliegenden Augen war bereits auf dem Sprung.
In dieser winzigen Zeitspanne sah ich auch das Fleischermesser mit der breiten Klinge blitzen und dachte an die offene Schublade, in der die Waffe möglicherweise gelegen haben könnte.
Dann rammte der Arm nach unten.
Die Untote hatte ihr gesamtes Gewicht in den Stoß hineingelegt.
Die Klinge hätte mich zuerst am Kinn getroffen, womöglich den Hals aufgerissen und wäre dann durch die Brust in den Bauch gedrungen.
Daß ich überlebte, verdankte ich meinen Reflexen. Blitzartig hatte ich mich zurückgeworfen, somit Distanz zwischen mir und der Untoten gebracht, die ausreichte, um die Klinge vor meinem Körper entlang ins Leere fahren zu lassen.
Als die Untote fiel, drehte ich mich zur Seite, so daß sie an mir vorbeistolperte und schließlich kippte. Die Gestalt hatte genügend Schwung, um weiter nach vorn zu fallen. Die schlug mit dem Gesicht auf die Kante der Spüle auf, was einer lebenden Leiche allerdings nichts ausmachte. Sie würde wieder hochkommen, vorausgesetzt, ich ließ es zu.
Das genau tat ich nicht.
Für einen Moment kniete das untote Geschöpf noch vor mir.
Ich drückte meine Waffe gegen den Kopf der Gestalt.
Als der Schädel zuckte und sich zur Seite drehen wollte, drückte ich ab. Ich hatte dabei auch die Augen geschlossen, denn ich wollte nicht hinsehen, und ich mußte mich auch von dem Gedanken befreien, es hier nicht mit einem Menschen zu tun zu haben, sondern mit einem Geschöpf der Hölle, das darauf aus war, Menschen zu töten oder zu fressen.
Die Kugel erwischte die lebende Leiche wie ein Blitzstrahl, der ihren Schädel aufriß. Ich war zurückgesprungen, weil ich nicht von der ausströmenden Masse erwischt werden wollte.
Vor mir sackte die Untote zusammen. Ihre Knie rutschten weg, dann blieb sie verkrümmt und auch endgültig vernichtet auf dem Boden der Küche liegen.
»Jetzt sind es noch zwei«, sagte Suko von der Tür her.
»Und der Professor.«
»Stimmt auch.«
Ich warf der vernichteten lebenden Leiche keinen Blick mehr zu.
Andere Dinge waren wichtiger.
Suko hatte mir an der Tür Platz geschaffen und ließ mich in den Flur gehen. »Ich war noch nicht im Keller, John. Nicht einmal an der Tür.«
»Gut, gehen wir gemeinsam.«
»Gehört habe ich auch nichts.«
Die Stille blieb auch jetzt. Sie war bedrückend. Sie schien ein Bruder des Todes zu sein und hatte ihren unsichtbaren Umhang innerhalb des Hauses ausgebreitet.
Nicht nur die offene Kellertür lockte uns. Vor allen Dingen das, was dahinter war.
Zunächst war es die Dunkelheit, die die Stufen einer Treppe sehr schnell verschluckte. Ich drehte mich an Suko vorbei, trat auf die erste Stufe, dann auf die zweite – und ließ die dritte aus, denn ich hatte etwas entdeckt.
Irgendwo vor und unter mir schimmerte Licht. Kein normaler, gelber und heller Streifen, wie ich ihn vorhin noch an der Tür gesehen hatte, nein, dieses Licht dort unten stammte nicht aus einer künstlichen Quelle. Es bewegte sich leicht hin und her, als wären leichte Windstöße dabei, durch Kerzenflammen zu fahren.
Suko war neugierig geworden und blieb neben mir stehen. »Okay, da unten sind sie.«
»Auch er?«
»Laß uns nachschauen…«
Eine Sekunde später machten wir uns auf den Weg in die Tiefe…
***
Tristan Levine hielt seine tote Frau immer noch fest. Seine Liebe zu ihr war grenzenlos, und es spielte für ihn auch keine Rolle mehr, daß sie nichts sagte, wenn er mit ihr sprach. Er erzählte ihr von seinem Leben, wie leer und einsam es war. Was sich aber ändern sollte,
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