1035 - Die Totenkammer
denn jetzt war sie wieder bei ihm.
Er saß längst nicht mehr auf dem Boden, sondern ging mit seiner Frau auf den Armen im Keller auf und ab. Er wirkte manchmal wie ein Tänzer, der eine Puppe in den Armen hielt.
»Ich werde dir bald das Licht der Sonne zeigen, mein Liebling. Du wirst dich freuen. Draußen ist schon Herbst. Die Blätter fallen, sie bilden einen Teppich. Alles wird sterben, aber du nicht. Du wirst leben.« Er lachte fröhlich auf und schob seine Hände unter die Achseln der Toten, damit er sie anheben konnte.
Er stellte sie hin, schaute in ihr Gesicht, und Maritas Zehenspitzen berührten dabei den Kellerboden. In den Augen des Mannes leuchtete der Wahnsinn, falls es so etwas gibt. Aber seine Blicke waren auf das Gesicht der geliebten Frau gerichtet, und er sah es nach seinen Vorstellungen, denn für ihn lebte es. Levine hatte längst vergessen, daß sich die von ihm angewandte Magie gegen ihn gestellt hatte. Das Leben, das er im Gesicht der Toten zu entdecken glaubte, war nichts anderes als das Wechselspiel aus Licht und Schatten, das in zuckenden Intervallen über die Haut hinweghuschte.
Mal verfing sich das Licht in den Augen und ließ die Pupillen beinahe aufglühen. Dann wanderte es weiter über die Wangen hinweg, berührte die Stirn, zuckte über das helle Totenhemd und verlor sich irgendwann wieder auf dem Kellerboden.
»Du bist schön«, flüsterte der Professor. »Du bist für mich die Schönste der Welt…«
Es ging ihm nur um seine Frau. Sie war der Mittelpunkt in diesem Kellerraum. Die beiden anderen Gestalten nahm er nicht zur Kenntnis. Aber sie waren vorhanden.
Brenda Little und Mandy Frost hatten sie als lebende Personen geheißen. Im Gegensatz zu den anderen drei Gestalten hatten sie den Keller nicht verlassen. Sie waren herumgeirrt. Durchgingen mal den Raum, in dem der Sarg stand und suchten auch den anderen ab, in dem sich die andere Frau und der Mann aufhielten.
Die Frau war tot.
Sie spürten es beide. Es war ein Instinkt, ein Geruch, der ihnen das mitteilte.
Aber der Mann lebte!
In seinen Adern pulsierte das Blut. Er war ein Mensch, er war jemand, in dem die Kraft des Lebens floß, und Zombies waren programmiert darauf, sich an Menschen zu vergreifen.
Das lebende Fleisch hatte Mandy und Brenda zurückgehalten. Die anderen waren verschwunden. Ihnen hatte es nur recht sein können, denn nun waren sie allein mit dem Mann.
Er nahm sie nicht wahr. Er tanzte mit seiner geliebten Frau durch den vom Kerzenlicht erhellten Kellerraum und ließ den starren Körper nie los. Für ihn war er wie eine Offenbarung. Er hatte endlich das bekommen, nach dem er sich so lange gesehnt hatte.
Beim Tanzen drehte er sich. Schlaff fielen die Arme der Toten herab und blieben an den Seiten hängen. Auch der Körper sackte zusammen, und die Fliehkraft hob die Beine vom Boden ab.
»He, Liebling, was ist los? Willst du nicht mehr tanzen? Bist du schwach geworden? Ja, du bist schwach. Ich sehe es dir an. Du solltest dich ausruhen. Warte, ich helfe dir dabei.«
Er schleifte sie mit bis zur Wand. Mit dem Rücken drückte er sie gegen das Hindernis.
»So, das wird dir guttun, meine Liebe. Eine kurze Pause ist immer gut. Danach werden wir…«
Jemand berührte ihn an der rechten Schulter. Levine stoppte mitten im Satz. Er drehte sich nicht um und schüttelte nur unwillig den Kopf. Die Berührung veränderte sich, denn eine bleiche Totenklaue wanderte weiter auf seinen Hals zu, um mit den spitzen Fingern von der Seite her in die Haut zu stechen.
Der Professor schrie auf, als die Nägel erste Wunden hinterließen, aus denen das Blut in winzigen Tropfen quoll. Durch diesen Schmerz war er aus seiner Lethargie herausgerissen worden, und er fuhr auf dem Absatz herum.
Das starre Gesicht der Mandy Frost schaute ihn an. Hinter ihm sackte Marita zusammen und vor ihm schob sich eine Hand mit blutigen Fingerspitzen hoch.
Trotz seines Zustandes registrierte er, daß es sein Blut war, das an den Kuppen klebte. Dieses Wissen sorgte bei ihm für eine normale und heftige Reaktion.
Er stieß seine Faust nach vorn. Sie klatschte gegen den Hals der lebenden Toten und stieß die Gestalt zurück. Ein Zombie besitzt nicht den Gleichgewichtssinn eines Menschen. Auch die untote Mandy Frost bildete keine Ausnahme.
Sie torkelte zurück und stolperte dabei über ihre eigenen Beine, während Levine ihr zuschaute und kicherte, bevor er seinen Kommentar abgab.
»Du hast mir meine geliebte Marita wegnehmen wollen, nicht wahr?
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