1035 - Die Totenkammer
absoluten Finsternis gestanden.
Leider nicht allein, denn der Bunker war ein Heim für Ratten gewesen. Sie hatte sie nie gesehen, nur gehört. Sie waren im Laufe der Zeit immer näher an sie herangeschlichen und hatten sie sogar berührt, was für Mandy grauenvoll gewesen war.
Niemand hatte ihre Schreie gehört, abgesehen von den Ratten, die wegen dieser Laute glücklicherweise verschwunden waren.
Erst Stunden später war Mandy befreit worden. Und zwar von der Polizei und von ihren Eltern, die sich Sorgen gemacht und die Polizei alarmiert hatten. Jedenfalls würde sie die Stunden im Bunker nie vergessen. Die Zeit war besonders in den folgenden Wochen immer wieder in ihren Träumen zurückgekehrt, und sie war des öfteren schreiend und in Schweiß gebadet erwacht.
Jetzt wurde sie wieder daran erinnert. Sie merkte, wie ihr der Schweiß erneut aus den Poren trat, wie damals, als sie im Bett gelegen hatte, und der Druck in ihrer Brust nahm zu.
Es war nicht ganz so finster wie im Bunker. Von irgendwoher drang schon ein bleicher Schein in die Halle. Es kamen nur die Fenster in Frage, vor die keine Rollos oder Vorhänge gezogen waren.
Das Licht mußte sich irgendwo draußen verteilen, wobei es mit seinen ausfasernden, bläulichen Rändern gegen die Scheibe traf.
Sie holte tief Luft. Sie schalt sich eine Närrin, daß sie sich so verhalten hatte. Es war nichts. Es gab keine Ratten. Höchstens Bücherratten, die allerdings bevölkerten tagsüber die Räume der Bibliothek und nicht in der Nacht.
So blieb ihr auch weiterhin nichts übrig, als einzugestehen, daß sie sich geirrt hatte.
Zwischen der letzten Stunde des Tages und Mitternacht sollte sie die Person treffen. Es war überhaupt Zufall, daß sie auf sie gestoßen war. Auch jetzt konnte sie sich nicht vorstellen, daß ausgerechnet er etwas mit dem Verschwinden ihrer Freundin Brenda zu tun haben sollte. Aber sie hatte bei Brendas Sachen eine Notiz gefunden und war dieser Spur nachgegangen.
Allmählich sah Mandy Frost ein, daß sie sich gewisse Dinge nur eingebildet hatte. Es kamen keine Personen, die im Schatten lauerten, um über sie herzufallen. Alles war okay, war ruhig. Es hatte sich im Vergleich zu den vielen anderen Nächten nichts verändert.
In der Halle wollte sie nicht bleiben. Als Treffpunkt war der kleine Lesesaal ausgemacht worden. Wie alle Räume war er von dieser Halle aus zu erreichen.
Mandy Frost kannte sich aus. Oft genug hatte sie die Bibliothek besucht, um etwas nachzulesen oder zu fotokopieren. Es gab Studenten, die diese Räume nicht kannten und sich ihr Wissen von irgendwelchen Disketten holten. Das kam für Mandy nicht in Frage. Sie brauchte einfach das Buch. Sie wollte hören, wenn die Seiten umgeblättert wurden, und sie liebte auch den Geruch der schon alten Schwarten, wie sie immer zu sagen pflegte.
Die Tür zum kleinen Lesesaal lag nur einige Meter entfernt. Eine lächerliche Distanz, die Mandy am Tag schon oft genug gegangen war, nicht aber in der Dunkelheit und völlig allein.
Hier kam ihr jeder Schritt vor wie eine tiefe Qual. Sie hörte den Boden. Das alte Parkett stöhnte oder jammerte auf, als lägen darunter Körper verborgen, die den Druck ihrer Füße genau mitbekamen. In dieser Stille achtete sie eben auf jedes Geräusch, und selbst der eigene Atem störte sie gewaltig.
Die Tür war dunkel wie alle anderen Türen in der Umgebung auch. Sie malte sich als rechteckiger Schatten ab, den Mandy Frost nicht aus den Augen ließ.
Obwohl Mandy wußte, daß sich außer ihr niemand in der Nähe aufhielt, schaute sie des öfteren nach rechts und links, als hielten sich dort irgendwelche Finsterlinge verborgen.
Nichts war zu sehen.
Die Finsternis blieb bestehen. Es passierte auch dann nichts, als Mandy vor der Tür verharrte und zum letztenmal tief durchatmete, bevor sie das große Wagnis einging.
Es bestand nur daraus, die Tür zu öffnen. Eine Lappalie, eine Kleinigkeit.
Trotzdem spürte sie die Furcht und auch leider wieder ein stärkeres Herzklopfen.
Sie schielte noch einmal in die Höhe. Die Decke bestand ebenfalls aus Holz und war mit viereckigen, kastenartigen Verzierungen bedeckt. Nichts davon war zu sehen.
Bevor Mandy die Tür öffnete, strich sie mit ihrer Hand über den Rücken hinweg und berührte den Griff der schmalen Stableuchte, die sie mitgenommen hatte. Ganz ohne Licht wollte sie nicht sein, erst recht nicht im Lesesaal.
Sie öffnete die Tür.
Tagsüber hatte sie das leise Knirschen der Angeln nie
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