1035 - Die Totenkammer
aber reißfest. Eine Seidenschlinge, wie sie chinesische Killer benutzten, wenn sie irgendwelchen Geheimbünden angehörten. Eine furchtbare Waffe in der Hand eines Könners, die vor allem lautlos tötete.
Genau darauf kam es dem Mann an.
Er schob die Lade wieder zu und rollte die Schlinge zusammen, daß sie in seine rechte Tasche paßte.
Der Mann war sehr zufrieden. Dieser Zustand hielt auch an, als er das Haus verließ.
Auf die Schlinge wartete ein neues Opfer…
***
Mandy Frost stand im Lesesaal, in dem kein einziges Licht brannte.
Sie war zwei Schritte nach rechts gegangen und hatte die Umgebung der Tür verlassen. Vorhin in der Halle war sie sich schon einsam vorgekommen, nun hatte sich das Gefühl noch verstärkt. In ihrem Innern spürte sie die Angst wie ein Bohrer. Sie war dabei, sich Vorwürfe zu machen, und sie dachte auch daran, sich auf der Stelle zu drehen und fluchtartig zu verschwinden.
Nein, das tue ich nicht. Nein, nein und nein! Es wäre Brenda gegenüber unfair gewesen. Sie beide waren Freundinnen, und Mandy wollte einfach mehr über das Verschwinden der jungen Frau erfahren. Wenn sie an sie dachte, dann zugleich auch an die Verzweiflung ihrer Eltern. Vor allen Dingen an die des Vaters, denn Brendas Mutter lag mit einem schweren Schock in der Klinik.
Sie war es der Familie einfach schuldig, etwas zu unternehmen.
Und noch stand nicht fest, daß Brenda tot war. Es gab immer wieder einen Funken Hoffnung, solange sie nicht selbst die Leiche der Freundin gesehen hatte.
In dieser Nacht sollte ihr der Weg gewiesen werden. Sie würde ihn treffen, und er würde ihr mehr über Brendas Verschwinden erzählen können. Wobei Mandy noch immer nicht begriff, daß ausgerechnet er etwas damit zu tun haben sollte.
Auf der anderen Seite schlug das Leben oft wahnsinnige Kapriolen, die mit dem normalen Verstand kaum zu erfassen waren. Damit mußte sich Mandy eben abfinden.
Sie wartete. Es war still um sie herum, und Mandy fragte sich, ob der andere schon eingetroffen war.
Mittlerweile kam sie auch mit der Dunkelheit zurecht, die längst nicht so tief und dicht war wie die vor Jahren innerhalb des alten Bunkers. Hier waren die Umrisse der Gegenstände zu sehen, die sich im Raum verteilten. An den Wänden standen die hohen, mit Büchern prall gefüllten Regale. Sie bildeten die Umrandung für den Mittelteil des Lesesaals, in dem die langen Tische mit den Stühlen davor ihre Plätze gefunden hatten. Zu jedem Platz gehörte eine Leselampe, die sich als nach vorn gebogenes Standbein von der Tischkante her abhob. Die durch einen halbrunden Schirm geschützte Lampe ließ das Licht fächerförmig nach unten auf das Ziel fließen.
Die Bücher waren in die Regale geräumt worden. Es wurde hier sehr auf Ordnung geachtet.
Mandy mochte Eaton. Da atmete jeder Bau Geschichte aus. Sie liebte die alten Mauern, die hohen Fenster, die großen Räume mit den ebenfalls hohen Decken und natürlich auch all die Traditionen, mit denen Eaton so verhaftet war.
Es war seit ihrem Eintritt nichts geschehen. Mandy wußte auch nicht, wieviel Zeit vergangen war. Sie wollte nicht auf die Uhr schauen, es hätte sie noch nervöser gemacht. Die Studentin war sowieso froh, ihren Atem so weit unter Kontrolle zu haben, daß er so gut wie nicht zu hören war.
Das längere Stehen auf der Stelle bereitete ihr Probleme. Im rechten Bein kribbelte es, als wäre das Blut in den Adern elektrisch aufgeladen worden. Die linke Schulter war ebenfalls etwas taub. Dieses Gefühl setzte sich bis in den Arm hinein fort.
Eine reine Nervensache. Mandy hatte sich einfach nicht unter Kontrolle, und sie fühlte sich immer mehr wie in einem Gefängnis. Die Dunkelheit war nicht gut. Ein finsterer Schwamm mit zahlreichen Poren, und in einer von ihr steckte sie.
Kein Geräusch. Nur ihr Atmen. Im Bein kribbelte es noch immer.
Sie streckte es vor, zog es wieder zurück und bewegte zudem ihren Arm, damit die Taubheit daraus wich.
Ihr war kalt geworden. Je länger sie auf die Tische mit den davor stehenden Stühlen schaute, um so mehr brannten ihre Augen. Sie fing an, die Dunkelheit zu hassen. In ihrem Innern staute sich die Wut auf über die Schwärze. Mandy Frost wußte genau, daß sie diese Umgebung nicht viel länger ertragen konnte. Sie mußte etwas tun und einiges verändern.
Weg mit der Dunkelheit – Licht!
Plötzlich war der Drang nach Licht unwahrscheinlich stark. Sie stellte sich vor, daß alles besser werden würde, wenn ein Licht die Finsternis
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