1035 - Die Totenkammer
diesen Brief, und der hat ihn noch mehr durcheinandergebracht.«
»Was voll und ganz zu verstehen ist«, gab ich ihr recht.
»Wann legt ihr los?«
»So gut wie jetzt.«
»Okay, dann drücke ich euch die Daumen und noch mehr.« Sie schüttelte sich. »Himmel, vier tote Frauen. Wer tut das?«
»Vielleicht können wir dir später mit einer Lösung dienen. Ob sie tatsächlich tot sind, Glenda, weiß man nicht.«
Erstaunt blickte sie mich an. »Glaubst du denn im Ernst daran, daß sie noch leben?«
»Sagen wir so. Es fällt mir schwer, dies zu glauben. Aber wie ist das mit der Hoffnung? Die gibt man bekanntlich ja nie auf…«
***
Noch immer sah Mandy Frost das verschwörerisch verzogene Gesicht des Kommilitonen vor sich, als er ihr den Nachschlüssel für einen bestimmten Raum der Bibliothek überreicht hatte. »Sag aber nie, von wem du ihn erhalten hast, sonst gibt es Ärger.«
»Nein, nein, keine Sorge. Ich verspreche es dir hoch und heilig. Außerdem ist das, was ich tue, kein Verbrechen.«
»Was hast du denn vor?«
Mandy, die Studentin mit den kurzen blonden Haaren, schüttelte den Kopf. »Kein Kommentar.«
»Hängt es mit Brenda zusammen?« Der Kommilitone ließ nicht locker.
»Wie kommst du darauf?«
»Ihr seid doch befreundet gewesen.«
»Ja und?«
»Aber Brenda ist weg. Wie einige andere auch, Mandy. Daran habe ich gedacht.«
»Keiner weiß, wo sie sind«, sagte Mandy Frost, nachdem sie tief Luft geholt und ihren Atem unter Kontrolle bekommen hatte. Der Mitstudent sollte nicht merken, daß er tatsächlich mit seinen Fragen auf der richtigen Spur gewesen war. Er bohrte auch nicht weiter und wünschte nur noch viel Glück.
Später hatte alles gut geklappt. Mandy Frost hatte sich in der Bibliothek einschließen lassen und anschließend eine halbe Stunde abgewartet, um sicher zu sein, daß auch niemand sonst da war.
Jetzt war sie allein.
Und es war ihr unheimlich zumute. Sie kannte die Räume sehr gut, allerdings nur bei Tag. Hell waren sie nie gewesen, trotz der großen Fenster, die viel Licht einließen. Eine Menge davon wurde auch von den dunklen Holzwänden aufgesaugt, mit denen die Räume innen verschalt waren. Es war tagsüber auch nie laut, selbst wenn Betrieb herrschte. In der Nacht allerdings hatte Mandy eine derartige Stille noch nie erlebt, und sie kam ihr unheimlich vor.
Der Frager hatte recht gehabt. Ihr ging es tatsächlich um das Schicksal ihrer Freundin Brenda Little, die, ebenso wie drei andere Studentinnen, spurlos verschwunden war. Nicht alle hielten das Verschwinden für außergewöhnlich. Es gab Studenten, die davon gesprochen hatten, daß die vier eben keinen Bock mehr spürten und deshalb die große Flatter gemacht hatten. Sie waren abgetaucht, hatten den Streß des Studiums nicht mehr ausgehalten und schauten sich jetzt in der Welt um.
Deshalb hatte Mandy nachgeforscht und auch eine vage Spur entdeckt. Sehr vage, aber trotzdem wollte sie diese weiterverfolgen, und sie hatte sich auch mit einer entsprechenden Person in Verbindung gesetzt, um sie zu treffen.
Die Person hatte zugestimmt. War sogar locker gewesen und hatte angedeutet, mehr über Brendas Verschwinden zu wissen. Allerdings sollte dieses Wissen heimlich weitergegeben werden, deshalb auch der spätabendliche Treffpunkt in der Uni-Bibliothek.
Wie Mandy dort hineinkam, sollte ihr Problem sein. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, hatte es geheißen, und sie war jetzt da. Stand allein in dem hohen hallenartigen Vorraum, in dem hin und wieder Lesungen irgendwelcher Autoren durchgeführt wurden, mal musiziert und mal ausgestellt wurde.
Die Dunkelheit war so dicht. Kein Netz, durch das Licht schimmerte. Und Mandy traute sich auch nicht, eine der Lampen einzuschalten, denn sie wollte keine Aufmerksamkeit erregen.
Sie hörte ihr eigenes Atmen. Normal klang es nicht, sondern stoßweise, fast keuchend. Je mehr sie darüber nachgrübelte, um so größer wurde ihr innerer Druck.
Eigentlich glaubte sie, ein gewisses Kindheitstrauma vergessen zu haben, aber das schien nicht so zu sein, denn jetzt, als sie in der beklemmenden Finsternis stand, kehrten die Erinnerungen zurück, die sie als Zwölfjährige durchlitten hatte.
Während des Spiels war es geschehen. Da war sie in einen dunklen Bunker eingesperrt worden. Ganz allein, denn die beiden Jungen hatten sich nur einen Spaß machen wollen. Ihre kleine Rache, weil sie von dem Mädchen mit Wasserbeuteln zielsicher beworfen worden waren.
Lange, sehr lange hatte sie in der
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