1038 - Der Seelen-Kerker
hoffentlich nicht kommen«, erklärte ich beim Aussteigen.
Ich ließ den Abbé vorgehen. Wir betraten den großen, ziemlich vollen Raum, in dem sich keine einzige Frau aufhielt. Nur Männer hockten an den Tischen oder standen an der Theke, die aus dem gleichen dunklen Holz gezimmert war wie die Balken der Decke.
Wir waren Fremde, und das bekamen wir zu spüren. Schon nach dem zweiten Schritt verstummten die zahlreichen Gespräche zwar nicht, aber sie wurden schon leiser geführt. Einige Männer hielten sogar den Mund. Eine Stimme aus dem Hintergrund war noch genau zu hören.
»Da sind zwei, die sich verlaufen haben.«
Wir kümmerten uns nicht um den Kommentar und blieben freundlich. Der Abbé steuerte auf eine Lücke an der Theke zu, was ganz in meinem Sinne war.
Der Wirt hatte alle Hände voll zu tun. Er arbeitete mit einem Helfer, wesentlich jünger als er. Beide Männer besaßen den gleichen, etwas groben Gesichtsschnitt und auch die gleichen dunkelbraunen Augen. Ich ging davon aus, daß es Vater und Sohn waren.
»Fremd?« fragte der Mann und schob seine beiden hellen Hosenträger vor, die sich auf dem dunklen Hemd abzeichneten.
»Ja«, gab Bloch zu.
»Verfahren?«
»Nein.«
»Dann wollen Sie etwas trinken?«
»Eigentlich nicht.« Der Abbé lächelte so nett, daß der Wirt nicht protestierte. »Wir möchten hier nur jemand besuchen. Das heißt, ich möchte ihn sprechen, denn ich bin ebenfalls Pfarrer und ein Kollege von ihm. Wir haben uns vor Jahren kennengelernt und da wurde mir gesagt, daß ich, sollte ich mal in der Gegend sein, ruhig vorbeikommen könnte. Sie wollte ich nur fragen, wo wir den Pfarrer hier finden können, bevor wir noch lange suchen.«
Der Mann hinter der Theke hatte dem Templer ausreden lassen.
Nur hatte sich sein Gesichtsausdruck ständig verändert, und irgendwann schüttelte er den Kopf. »Das ist nicht möglich«, sagte er. »Wissen Sie es denn nicht?«
»Nein, ich komme aus dem Süden. Was ist mit dem Pfarrer?«
»Abbé Soile ist tot.«
»Bitte?«
Es war überraschend für uns, doch Bloch tat so, als hätte er einen Freund verloren. Er klammerte sich am Handlauf fest, schüttelte den Kopf und sagte: »Dabei war er nicht so alt.«
»Na ja, zweiundsechzig.«
»Trotzdem. Wie konnte das passieren? Eine Krankheit…?«
»Nein, keine Krankheit. Auch kein Unfall, glaube ich. Wir haben ihn vor einigen Tagen gefunden. Er lag direkt vor der Kirchentür. Es war grauenhaft.«
»Man hat ihn ermordet?« fragte ich.
»Kann man sagen. Stimmt sogar. Er ist nicht erschossen oder erstochen worden. Man hat ihm die Glieder verdreht, die gebrochen waren. Keiner hier im Ort hat etwas gesehen, da es in der Nacht passiert ist. Auch die Polizei ist nach knapp zwei Tagen wieder verschwunden.«
»Ohne den Mörder gefunden zu haben?« fragte ich.
»Klar.«
Ich schaute den Wirt an. »Aber Sie und die meisten hier im Ort wissen doch sicherlich mehr – oder?«
Der Mann sah aus, als wollte er zurückzucken, blieb aber stehen.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe meine Erfahrungen. Oft gibt es Motive, über die man mit der Polizei nicht reden kann. Alte Geschichten, sage ich mal. Schlimme Legenden.«
»Wie die von dem Turm«, sagte der Abbé.
»Was meinen Sie damit?«
»Soile hat mir das früher mal erzählt. Er hat von einem mittelalterlichen Kerker gesprochen, der sich unter dem Turm befand. Das Bauwerk gibt es ja nicht mehr, aber was ist mit dem Kerker? Der könnte hoch existieren, meinte auch Soile.«
»Aber jetzt kann er nichts mehr sagen.«
»Könnte es denn mit dem Turm zusammenhängen? Oder mit dem, was damals passiert ist? Angeblich soll es ja dort spuken, nicht wahr?«
Der Mann stellte sich stur. »Ich sage nichts mehr. Gar nichts. Fahren Sie lieber wieder weg.«
Bloch war ein freundlicher und zugleich auch hartnäckiger Mensch. »Sagt Ihnen der Name Nazarius etwas?«
Ein Mund öffnete sich. Ein Gesicht wurde bleich. Die Hände des Mannes bewegten sich unruhig. »Nie gehört!«
Es war eine glatte Lüge. Er kannte den Namen. Das war ihm anzusehen, und wahrscheinlich wußte er auch, daß dieser Nazarius nicht so tot war, wie er es hätte sein müssen. Er wollte nichts mehr sagen und kümmerte sich wieder um seine Arbeit. Wir bedankten uns und verließen die Gaststätte.
»Das war ein Treffer ins Schwarze, Abbé.«
»Ja.« In seiner Stimme klang Stolz mit. »Als hätte ich es geahnt. Dieses Dorf liegt unter einem besonderen Einfluß. Ich denke schon, daß die Bewohner zu
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