1038 - Der Seelen-Kerker
Tür strömte einen intensiven Holzgeruch aus. Blätter waren vom Wind zu ihr geweht worden und raschelten, als wir sie durchschritten.
Noch hatten wir durch kein Fenster in die Kirche hineinschauen können. Auch die Tür versperrte uns die Sicht. Ich drückte den Abbé etwas zurück, der es kaum erwarten konnte, die Kirche zu betreten. Den Anfang wollte ich machen.
Eine kalte Klinke mußte ich nach unten drücken. Sie knarrte, und die Tür ließ sich nur schwer öffnen. Mit der Schulter drückte ich dagegen und merkte schon sehr bald die andere Kühle, die mir aus dem Innenraum entgegenwehte.
Sie war zu schmecken, diese ungewöhnliche Luft. Zwar roch sie nicht verbrannt, aber weit davon entfernt lag dieser Geruch auch nicht. Ein ziemlich hohes Taufbecken aus dunklem Stein versperrte mir die Sicht auf den Altar. Uns umgab eine bedrückende Stille, die an den düsteren Wänden und auch an den halbhohen Rundbogenfenstern an den Seiten festzukleben schien.
So leise wie eben möglich gingen wir weiter. Auch Suko hatte das befremdende Gotteshaus jetzt betreten, dessen Flair ein anderes geworden war.
Das spürte auch der Abbé, denn er sagte mit leiser Stimme: »Man kann sich hier nicht mehr wohl und auch nicht beschützt fühlen. Tut mir leid, aber das empfinde ich so.«
Ich gab ihm recht. Neben dem Taufbecken blieb ich stehen. Die Sicht war besser geworden, abgesehen von der grauen Dunkelheit, die sich im Innern der Kirche ausbreitete.
Schatten, die sich überall verteilten. Mal dichter nahe der Wände, mal weicher, wenn sie in Richtung der Bankreihen flossen, die durch einen schmalen Mittelgang geteilt wurden.
Ich schaute auch in die Höhe. Die Decke war nicht zu sehen. Getaucht in ein düsteres Grau. Es schwebte innerhalb der Kirche wie ein drohender Himmel.
»Das kann keine Heimat mehr für einen normalen Pfarrer sein«, sagte der Abbé. »Hier hat das Böse sich festgesetzt. Und es ist auch weiterhin da.«
Ich glaubte ihm jedes Wort. Weit hatte ich bis zum Altar nicht zu gehen. Er war zwar nicht deutlich zu erkennen, aber ich wußte genau, wohin ich gehen mußte. Den beiden anderen bedeutete ich, auf mich zu warten und mir gleichzeitig den Rücken zu decken.
Sie waren einverstanden. Nur der Abbé hielt sich noch zurück.
»Was hast du genau vor, John?«
»Ich will ihn aufspüren. Mein Kreuz hat ihn schon einmal gefunden. Jetzt rechne ich damit, daß es sich wiederholt.«
Der Abbé nickte. Er war einverstanden, doch er konnte sich mit den neuen Gegebenheiten noch nicht abfinden. »Es ist seine Kirche geworden«, flüsterte er zischelnd. »Er hat sie unter Kontrolle. Ich weiß und ich spüre es. Du mußt sehr vorsichtig sein, John. Hier lauerte das Böse wie ein großer Schatten.«
»Ihr seid ja auch noch da.«
»Klar, wir bleiben auch hier. Und sollte der Sturm der Hölle losbrechen, werden wir ihm trotzen!«
Klare Worte, die pathetisch klangen, auf die ich mich zum Glück verlassen konnte. Sie waren nicht einfach nur dahergesagt worden.
Bloch war ein Mensch, der kämpfte, der nie aufgab. Das hatte ich bei ihm schon erlebt, als er noch unter dem Verlust seines Augenlichts gelitten hatte.
Meine Richtung war klar. Ich wollte an das Herzstück der Kirche heran, an den Altar. Der direkte Weg führte mich durch den Mittelgang zwischen den beiden Bankreihen. Ich ging über einen dunklen Steinboden hinweg. Er kam mir vor wie das gefrorene Wasser eines finsteren Tümpels, aber ich brach nicht ein, sondern merkte schon den harten Widerstand unter meinen Füßen.
Die Luft blieb schlecht. Rußig und abgestanden roch sie und schien überall zu dampfen, als hätte sie sich mit den düsteren Schatten vermischt.
Auf das Licht meiner Lampe verzichtete ich zunächst. Den Altar würde ich auch so im Dunklen erreichen. Schon jetzt sah ich, daß zwei breite Stufen zu ihm hochführten.
In den einzelnen Bankreihen versteckte sich niemand. Für mich war zumindest nichts zu sehen. Trotzdem konnte ich mir vorstellen, daß plötzlich jemand aus dieser Finsternis erschien und mich angriff. Etwas Böses, etwas Mutiertes, ein Tier mit mordgierigen Zähnen und einem Rachen, in dem das Feuer der Hölle loderte.
Einbildungen. Ich konnte normal weitergehen. Keiner versuchte, mich anzugreifen.
Von Suko und Bloch hörte ich nichts. Erst vor den beiden breiten Altarstufen blieb ich stehen, um über sie hinweg gegen den Gabentisch Gottes zu schauen.
Er war leer.
Es leuchtete nicht ein einziges Licht. Keine Kerzenflamme gab ihren
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