1040 - Unheil über Kran
nicht sofort handle, wird mir ewig die Schande anhaften, ein Handlanger der Bruderschaft gewesen zu sein."
„Auch das verstehe ich", sagte Weiksa.
„Ich kann meinen Namen nur dadurch reinigen, daß ich die Bruderschaft vernichte", fuhr Carnuum fort. „Sie ist ein Krebsgeschwür inmitten des Staatskörpers. Ursprünglich mögen die Bruderschaftler hohe und erstrebenswerte Ziele im Auge gehabt haben. Aber heute sind sie nur noch eine Geheimorganisation, die mit allen Mitteln nach der Macht strebt."
Er schwieg einen Augenblick. Als er wieder zu sprechen begann, war seine Stimme schwer und bedrückt.
„So, wie die Lage im Augenblick ist, kann ich nicht gegen die Bruderschaft vorgehen. Es herrscht zuviel Verwirrung im Volk. Niemand weiß, wohin er gehört. Ich habe diesen Entschluß noch nicht fassen wollen - jetzt noch nicht. Aber die Bruderschaft läßt mir keine andere Wahl."
Seine großen, dunklen Augen loderten in gefährlichem Feuer.
„Weiksa, du kennst die Getreuen, auf die wir uns verlassen können. Bring sie hierher!
Ich kehre vorerst nicht auf den Tärtras zurück. Dieses Zelt hier soll mein Hauptquartier sein. Sorge dafür, daß ein kleines Kommunikationszentrum eingerichtet wird. Als erste will ich Syskal sehen, die Kommandantin der Schutzgarde. Sobald sie hört, daß Gu nicht mehr am Leben ist, wird sie keinen Zweifel mehr an der Richtigkeit meiner Maßnahmen haben."
„Welcher Maßnahmen?" fragte Weiksa.
„Die Schutzgarde übernimmt den Sturm auf den Wasserpalast. Wir lassen Artillerie rings um den Dallos auffahren und legen den Palast solange unter Trommelfeuer, bis sich kein Orakeldiener mehr sehen läßt. Dann wird gestürmt!"
Sie nickte - traurig und schicksalsergeben. Sie hatte ein einziges Geheimnis, von dem Carnuum nichts wußte. Sie glaubte, daß er dem Orakel unterliegen werde.
Aber das spielte jetzt keine Rolle. Er hatte sich nicht anders entschließen können. Nur diese eine Entscheidung war in diesem Augenblick denkbar.
„Und dann", sagte Carnuum bitter, „wenn wir das Orakel ausgeschaltet und Kran fest in der Hand haben, dann vernichten wir die Bruderschaft."
*
Inzwischen ging, Hunderte von Kilometern vom Wasserpalast entfernt, Vornesch seinen finsteren Plänen nach. Er hatte seine Begleiter in eines seiner besser ausgestatteten Verstecke geführt. Der Ort war damit in Zukunft für ihn wertlos, aber darauf durfte er jetzt nicht achten. Er hatte sich über den Kaschemmenwirt Salixis mit Klaques Vertrautem in Verbindung gesetzt und erfahren, daß bis Mitternacht das gewünschte Ergebnis vorzuliegen hatte.
Vornesch war zuversichtlich. Er zweifelte nicht daran, daß er mit dem Prodheimer-Fenken einen von Gus Spitzeln gefangen hatte. Es müßte doch mit dem Ungeist zugehen, wenn er von ihm nicht erfahren konnte, wohin der Herzog geschafft worden war.
Vorneschs Versteck war eine kleine Mietwohnung in einer großen, modernen Wohnpyramide. Jedes Appartement hatte seinen direkten Zugang vom unterirdischen Abstellraum und dem Magnetbahnanschluß her. Niemand hatte die kleine Gruppe beim Betreten der Wohnung beobachtet. Zwei Kranen und ein Tart machten es sich in der Wohnhalle bequem. Vornesch und der noch verbleibende Prodheimer-Fenke brachten den Gefangenen in den angrenzenden Schlafraum.
Der Blaupelz war ein Meister seines Fachs, ein Mediker ersten Ranges, der es lediglich seiner Vorliebe für Experimente am lebenden Objekt verdankte, daß sein Name auf der Fahndungstabelle der Schutzgarde stand. Versuche am lebenden Objekt waren nach kranischem Gesetz nicht grundsätzlich verboten. Aber wenn den Prodheimer-Fenken der Forschungsdrang packte, dann experimentierte er auch, ohne sich vorher der Zustimmung seines Versuchsobjektes versichert zu haben. Und das war, soweit es sich um Experimente an intelligenten Wesen handelte, strengstens verboten.
Der Gefangene war apathisch und ließ sich widerstandslos alles gefallen, was der Mediker mit ihm anstellte. Dessen Tätigkeit bestand darin, eine Reihe von Injektionen zu verabreichen und die Reaktion des Gefangenen in regelmäßigen Abständen zu prüfen.
Eine halbe Stunde verging. Dann sah der Prodheimer-Fenke zu Vornesch auf und sagte: „Du kannst jetzt mit dem Verhör beginnen."
Vornesch schickte ihn hinaus und sah zu, daß sich die Tür ordnungsgemäß hinter ihm verschloß. Als er sich dem großen, kranischen Polsterlager zuwandte, auf dem der Gefangene sich fast verlor, blickten ihm starre, knöpfförmige Augen entgegen.
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