1047 - Madame Medusa
junge Frau war in seiner Nähe geblieben. »Ich heiße Eva«, sagte sie und lächelte. »Wenn Sie so nett wären und noch einen Moment Platz nehmen? Ich sage Madame Bescheid, daß Sie eingetroffen sind.«
»Ist schon gut.« Das Leder knarrte, als sich der Mann niederließ und Eva nachschaute, die auf eine bestimmte Tür zuging. Im Gegensatz zu den anderen Türen war sie hell gestrichen. Sie öffnete, ohne zuvor angeklopft zu haben.
Joker wartete und wunderte sich weiter. Er hatte damit gerechnet, ein folkloristisches Outfit vorzufinden, doch nichts war zu sehen. Nicht einmal ein Bild an der Wand. Die Wände selbst waren mit beigefarbenen Tapeten beklebt, die bereits eine bräunliche Patina erhalten hatten.
Hier also lebt und arbeitet eine berühmte Wahrsagerin, dachte Joker. Er konnte es noch immer nicht glauben. Es ging ihm einfach quer. Das Haus war ihm zu normal. Es konnte allerdings auch Tarnung sein.
Er streckte die Beine aus und schaute auf die bunten Titelblätter der Zeitschriften. Für ihn war nichts dabei, was sich zu lesen gelohnt hätte. Er nahm keine der Zeitschriften in die Hand und wartete darauf, daß ihn Madame empfangen würde.
Eva kehrte zurück. Sie lächelte ihm entgegen, und Joker erhob sich von seinem Platz. »Ist Madame bereit, ihren letzten Kunden zu empfangen?« fragte er.
»Ja, wir können zu ihr.«
»Und?«
»Bitte? Ich verstehe nicht…«
»Nun ja, muß ich etwas ausfüllen? Muß ich etwas tun? Will sie über mich Bescheid wissen?«
»Nein, das nicht. Sie vergessen wohl, wer Madame ist.«
»Pardon, daran habe ich tatsächlich nicht gedacht.«
»Kommen Sie.«
Beinahe hätte Eva ihn an die Hand genommen. Ausgestreckt hatte sie ihren Arm bereits, aber Joker zog seine Hand noch rasch genug zurück. Andere Kunden mochten das vielleicht gern haben, er war einfach nicht der Typ.
Auch diesmal klopfte Eva nicht an, bevor sie die Tür aufzog. Sie war kleiner als Joker. So konnte er über ihre Schulter hinwegschauen und blickte in einen abgedunkelten Raum, in dem es zwar Licht gab, das allerdings strategisch günstig verteilt war und nur die eine Hälfte des Raums erhellte. Eine zweite blieb in der Dunkelheit versunken.
Joker wurde von Eva zu einem Sessel mit hoher Lehne geführt. »Der letzte Gast für heute, Madame.«
»Danke, Eva. Laß uns allein.«
»Natürlich.«
Joker hatte seinen Platz bereits eingenommen. Es hatte ihm nicht gefallen, daß die Stimme der Wahrsagerin ihn aus dem Dunkel erreicht hatte, doch das änderte sich sehr bald. Noch bevor er sich darüber beschweren konnte, glühte die zweite Lichtquelle auf. Für ihn war es tatsächlich so etwas wie ein Glühen, denn die Umrisse des Schreibtischs und auch die der dahinter Sitzenden erschienen nur allmählich aus dem Grau. Es waren gedimmte Lampen, die ihren Lichtschein von unten nach oben richteten. Für den Kunden mußte es so aussehen, als dränge die Helligkeit aus dem Fußboden, der mit einem dunklen Flor bedeckt war.
Madame Medusa wußte Effekte zu schätzen. Sie erschien durch das Licht wie ein Geist aus dem Hintergrund und trat nur allmählich hervor, wie in rasch aufeinanderfolgenden Intervallen.
Joker hatte sich bisher kein Bild von der Frau gemacht und nicht einmal darüber nachgedacht. War sie alt, jung, attraktiv oder häßlich? Er wußte es nicht. Das allerdings änderte sich, denn nun sah er die Frau vor sich. Da gab es nichts Trennendes zwischen ihnen.
Sie war nicht mehr jung, aber auch nicht alt. Um die Vierzig herum mußte ihr Alter liegen, obwohl das Gesicht fast alterslos oder sogar künstlich aussah.
Ein glattes Gesicht. Ohne Falten, ohne Einkerbungen. Ein Gesicht mit starren Augen und einer Haut, die weder hell noch dunkel war. Er sah die hohe Stirn und an deren unteren Ende die sehr glatten Brauen, die zwei bewegungslose Augen schützten. Waren die Pupillen dunkel? Waren sie hell? Joker fand es nicht heraus, und das ärgerte ihn. Er hatte sich seinen Geschäftspartnern oder partnerinnen bisher immer überlegen gefühlt. Hier war das nicht der Fall. Wenn er nach einem Vergleich im Tierreich suchte, kam er sich vor die Maus, die vom Kater fixiert wurde, bevor er sie verspeiste.
Die Lippen der Madame lagen zusammen, und sie blieben es auch, als sie lächelte. Sie bewegte nur die Lippen, nicht den Körper, der nach wie vor unbeweglich in dieser Lichtglocke saß.
Ihr Haar schimmerte. Es war dunkel, es war auch hell und perfekt frisiert. Vielleicht sogar zu perfekt, um echt zu sein, denn Joker
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