1059 - Fels der Einsamkeit
feindlich gesinnt", ergänzte Fellmer. „Wir sind ihnen im Weg.
Es gibt irgend etwas, das sie dringend tun müssen, woran wir sie hindern."
„Irgendein Hinweis, was das sein könnte?"
„Ja. Es handelt sich um etwas Alogisches - etwas das unterhalb der Ebene der Ratio liegt."
„Um einen Glauben, etwas Religiöses", fügte Gucky hinzu.
Perry sah nachdenklich vor sich hin. „Wir hindern sie daran, eine religiöse Funktion wahrzunehmen", murmelte er mehr zu sich selbst. „Wodurch? Dadurch, daß wir Diaspongin sprühen und die Schwämme aus gewissen Abschnitten des Tales aussperren." Er blickte auf. „Es läßt sich nicht erkennen, welches das Objekt ihres religiösen Eifers ist?"
„Etwas Großes", antwortete Fellmer. „An dieser Stelle kommt die telepathische Semantik wieder ins Spiel. Niemand kann verstehen, wenn sie etwas beschreiben."
„Der Fels", sagte Irmina. „Es kann nur der Fels sein."
„Das ist möglich", gab Gucky zu.
„Mich interessiert eines", sagte Perry. „Reagierte die Amöbe auf den Verständigungsversuch? Ist das wenige, das wir wissen, das Resultat einer Kommunikation - wie unvollständig sie auch immer sein mag - oder lediglich das Ergebnis eures Herumstocherns in dem fremden. Bewußtsein?"
„Es gab keine Kommunikation, Perry", antwortete der Ilt. „Was wir wissen, stammt aus den Eindrücken, die wir empfingen, während die Amöbe mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war. Ich glaube nicht, daß sie den Verständigungsversuch überhaupt zur Kenntnis genommen hat."
Perry nickte. „Noch etwas", begann er von neuem. „Empfindet die Kreatur Schmerz?
Fehlt ihr der Gastkörper des Rollschwamms? Hat sie Hunger, Durst, irgend was?"
„Das war nicht zu erkennen", erklärte Fellmer. „Wir haben die Mentalimpulse dieser Geschöpfe früher schon empfangen - allerdings aus der Ferne. Ich würde behaupten, daß die früher beobachteten Impulse und die mentalen Regungen der EM-Amöbe drüben in der Zelle sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden."
„Mit anderen Worten", interpretierte Perry: „Unser Gefangener leidet zur Zeit keine physische Not. Das ist gut."
„Warum ist das gut?" erkundigte sich Irmina sofort.
„Ich will ihn untersuchen lassen. Wir müssen wissen, was es mit den Amöben auf sich hat. Das nötige Gerät soll in die Nähe der Zelle gebracht werden."
*
Perry hatte die Absicht, sich ein paar Stunden ungestörter Ruhe zu gönnen. Aber das Bewußtsein war in Aufruhr. Er konnte sich der Gedanken nicht erwehren, die auf ihn einströmten, und entsann sich schließlich des einfachsten Mittels, mit dem er des Aufruhrs Herr werden konnte ;er ließ die Gedanken gewähren.
Kaum vorstellbar, daß erst zweieinhalb Standardwochen vergangen waren, seit er auf Khrat die Weihe eines Ritters der Tiefe empfangen hatte. Wenn er daran zurückdachte, dann hallte ihm das klingende Dröhnen des Doms Kesdschan noch in den Ohren - jener Laut, der das gesamte Universum durchdrang und von jedem geschulten Ohr zu hören war. Er erinnerte sich der Aufgabe, die ihm zugleich mit der Ritterwürde verliehen worden war: teilzunehmen an dem Kampf, den die ordnenden Mächte gegen die zerstörenden Kräfte führten. So lautete der Auftrag der Kosmokraten, von denen der Wächterorden seine Daseinsberechtigung bezog.
Er stellte sich das Universum in Sektoren aufgeteilt vor. Die Auseinandersetzung zwischen den Ordnenden und den Zerstörenden war in jedem Sjektor im Gang. Sein Sektor enthielt den Zwist, der ES und Seth-Apophis als Antagonisten einander gegenüberstellte. Seine Aufgabe war es, den Verlauf der Auseinandersetzung zugunsten der ordnenden Macht ES - und damit im Sinne der Kosmokraten - zu beeinflussen.
Es war, wenn man alle Überlegungen auf den Kern ihrer Substanz reduzierte, ein Kampf zwischen dem Gesetz der Moral und einem Gesetz der Natur. Die Natur, sich selbst überlassen, strebte nach Zuständen wachsender Unordnung. Die Entropie nimmt zu - das war der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Das moralische Gesetz dagegen bemühte sich, geordnete Strukturen aufrechtzuerhalten - Konstrukte, innerhalb deren das intelligente Wesen sich orientieren konnte, die einen Standort und eine vorgegebene Bewegungsrichtung besaßen, die niemand darüber im Zweifel ließen, wo oben und unten, wo rechts und links, was gut und was böse war.
Die Auseinandersetzung zwischen den ordnenden und den zerstörenden Mächten stand im Zusammenhang mit den drei Ultimaten Fragen, deren Wortlaut
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