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106 - Schatten des Krieges

106 - Schatten des Krieges

Titel: 106 - Schatten des Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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sie ihn an wie einen Bettler. Ja, tatsächlich. Einige mitleidige Seelen legten sogar angedrücktes, halb zermatschtes Obst, das sie selbst nicht mehr essen mochten, neben ihn ab. Dicht bei den Worten, die er mit dem Finger in den Staub geschrieben hatte: HONEYBUTT KEHRT BALD ZURÜCK.
    Nur für den Fall, dass ihn sein Gedächtnis endgültig im Stich ließ.
    Irgendjemand spendete sogar eine alte American Express -Karte. Der Aufdruck war auf dem mit Kerben und Schrammen übersäten Plastik kaum noch auszumachen, trotzdem stellte sie ein probates Zahlungsmittel dar: einen Bax. Die gültige Währung im postapokalyptischen Washington. Sowohl innerhalb der Stadtmauern als auch davor, hier in Downtoon, dem ehemaligen Stadtteil Arlington westlich des Potomac, durch dessen Flussbett die eisigen Fluten noch genauso Richtung Meer flossen wie seit Beginn der christlichen Zeitrechnung vor über zweitausendfünfhundert Jahren.
    Die umliegenden Häuserzeilen waren seit dem Einschlag von »Christopher-Floyd« zu hoch aufragenden Trümmerhaufen verkommen, deren entglaste Fassaden langsam aber sicher von der Natur zurückerobert wurden. Weite Teile des verwilderten Viertels waren so gut wie unbewohnt. Die Einfallstraße der einstigen Hauptstadt, den Highway 66, säumten jedoch Marktstände, Herbergen und Bordelle, die von vorüberziehenden Händlern und Reisenden besucht wurden.
    Hier gab es nicht nur Wild und Früchte aus den umliegenden Wäldern zu kaufen, sondern auch aus den Ruinen geborgene Technik in unterschiedlichsten Erhaltungszuständen sowie falsche Bax und bitter schmeckende Drogen, die um so farbenprächtigere Halluzinationen hervorriefen.
    So bunt gemischt wie das Angebot waren auch die Barbaren, die hier flanierten. Aikos Augenmerk galt dabei weniger den stolzen Jägern mit den rot und blau bestickten Lederwämsen aus den umliegenden Wäldern, sondern den Habenichtsen, die hier herumlungerten, um all denen etwas zu stehlen, die noch weniger als sie selbst besaßen.
    Etwa dem hageren Kerl undefinierbaren Alters auf der gegenüberliegenden Straßenseite, dem der Hunger ein ständiger Begleiter war. Sein bodenlanger, löchriger Ledermantel sah so aus, als ob er damit den gesamten Highway aufgefegt hätte. Seine Wangen und Schläfen waren eingefallen, als zehre ihn etwas von innen her auf, und sein Gesicht glänzte krankhaft feucht. Die von zu viel Sonne gerötete Halbglatze reichte fast bis in seinen Nacken. Und das wenige verbliebene Haar klebte in wirren fettigen Strähnen am Schädel fest.
    Beide Hände in die Manteltaschen gestemmt, blickte er immer wieder sichernd nach links und rechts, bevor er wieder mit flackernden Augen zu Aiko herüber schielte. In dem unsteten Blick paarte sich Habgier mit der Bereitschaft zu töten, solange das Opfer zu schwach zum Widerstand war.
    Jemand wie Aiko, der teilnahmslos vor sich hin starrte, musste geradezu ideal erscheinen.
    Honeybutt! Der Cyborg fühlte Unruhe in sich aufsteigen.
    Wo bleibst du nur?
    Wie ein Aasfresser, der einer Witterung folgt, kam der Bettler näher. Nicht auf direktem Wege, nein. Unterwegs hielt er immer wieder inne, als ob ihn dieses oder jenes Angebot interessieren würde, nur um sein Opfer weiter auszuspähen.
    Erst als er völlig sicher sein konnte, dass Aiko auf sich allein gestellt war, schlenderte er lässig heran.
    Trotz seines Dämmerzustandes bemerkte der Cyborg die sich aufziehende Gefahr. Angst wühlte in seinen Eingeweiden.
    Angst, einem Angriff hilflos ausgeliefert zu sein - gepaart mit erstem, leise aufkeimenden Zorn. Verdammt, so weit war es also schon mit ihm gekommen! Eine räudige, selbst von allen Seiten geprügelte Straßentaratze versetzte ihn in Furcht und Schrecken. Nun ja, wenigstens vertrieb der anschwellende Herzschlag die einlullende Apathie aus seinen Hirnwindungen.
    Seine Umwelt gewann an Kontur. Der hagere Bettler, der sich vor ihm aufbaute, brannte sich bis auf den letzten Bartstoppel in seine Netzhaut ein.
    Beinahe so, als wären sie alte Freunde, stupste der Kerl, die Hände weiter in den Manteltaschen, Aiko mit dem rechten Fuß an. »Na, Alta, lang nich gesehn. Alles okee?«
    Statt Schuhen trug er schlecht gegerbtes Leder, mehrmals um beide Füße gewickelt und mit Riemen verschnürt.
    Eigentlich eine bedauernswerte Gestalt. Wären da nicht die unlauteren Absichten gewesen, die ihn so deutlich umgaben wie der unangenehme Körpergeruch, der seinen Poren entströmte. Trotz seiner beeinträchtigten Rezeptoren stach es bitter in

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