107 - Turm der Menschenmonster
Nebel und Qualm eilten die mit Rechen und Knüppeln, Hacken und
Äxten bewaffneten Männer und Frauen herbei. Wie Spukgestalten wogten die
dunklen Umrisse ihrer Leiber hinter den Nebelschleiern, im Feuervorhang, hinter
dem aufquellenden Rauch.
Morna verlor auf der Stelle das Bewußtsein
und merkte nicht mehr, wie sie von den Gestalten eingekreist wurde.
●
„Hallo! So bleiben Sie doch stehen! Laufen
Sie nicht weg! Das ist doch Unsinn!“ Larry Brent duckte sich
geistesgegenwärtig, während er rief. Aus dem Nebel stachen dunkle, schwarze
Zweige auf ihn zu. Ein Ast hing so tief, daß er sich das ganze Gesicht
zerkratzt und seine Augen in Gefahr gebracht hätte, wäre er nicht tief genug
herabgegangen.
Die fremde Frau, der er jetzt schon einige
Minuten lang durch den Wald folgte, bewegte sich erstaunlich schnell. Immer
wieder hatte er sie angerufen. Doch sie reagierte überhaupt nicht, als hätte
sie den Verstand verloren.
Sie stand unter einem Schock. Was hatte dazu
geführt?
Larry Brent wußte, daß er - eventuell - erst
dann erfuhr, was ihn interessierte und was sie andeutete, wenn es ihm gelang,
die fremde Frau einzuholen, und zur Vernunft zu bringen.
X-RAY-3 jagte zwischen den kahlen Stämmen
entlang. Meistens nahm er in dem stellenweise dichten Nebel die Fremde gar
nicht mehr wahr, sondern konnte sich nur an den Geräuschen orientieren, welche
die Fliehende verursachte.
Was für eine geheimnisvolle und unheimliche
Nacht. Die Autopanne der Fremden hätte man noch als gegeben und natürlich
hinnehmen können. Aber daß an der gleichen Stelle wenige Augenblicke später nun
das gleiche passierte, das konnte man nicht mehr als normal bezeichnen.
Hier steckte System dahinter
...
Irgendwer, irgend etwas wollte sie aufhalten,
irgendwer oder irgend etwas wollte, daß es zu dieser Begegnung kam?! Konnte man
es nicht auch so deuten?
Was war nur los in dieser Nacht? An
Besonderheiten und Eigentümlichkeiten war sie wahrhaftig nicht arm, wenn er
berücksichtigte, daß diese charmante, einen guten Eindruck machende Frau
plötzlich den Kopf verlor, aus dem Auto stürzte und in die Nacht hinauslief.
Er machte sich plötzlich Gedanken über den
Zurückgebliebenen. Es war vielleicht nicht richtig gewesen, Tony allein im Auto
zu lassen. Aber es war alles so schnell gegangen, daß Brent nur den einen
Gedanken gehabt hatte, die Fremde so schnell wie möglich wieder
zurückzubringen. Unerwartet forderte das Ganze nun einen umfangreicheren Zeit-
und Krafteinsatz.
Da sah er die schemenhafte Gestalt vor sich.
Leicht wie eine Feder schien sie sich im Nebel vor ihm zu bewegen.
Larry beschleunigte seinen Lauf und holte
schnell auf, nachdem er die Fliehende wieder im Blickfeld hatte.
In der Nebelnacht vor ihm ragte ein
turmartiger Bau auf.
Die Kastanienbraune stutzte plötzlich,
verhielt kurz und lenkte dann ihre Schritte zu dem Turm, der Ähnlichkeit mit
einem überdimensionalen Bienenkorb hatte.
Larry Brent sah, wie die Frau, der er folgte,
in dem dunklen Eingang verschwand. Das abgerundete Tor in dem Turm stand weit
offen.
Sofort setzte er nach. Modrige Luft, die aus
dem Keller zu kommen schien, schlug ihm entgegen.
Ein ovaler Raum lag gleich hinter dem
Eingang. Eine uralte Bettstelle, Lappen und grob zusammengezimmerte Regale
zierten die rauhen Bruchsteinwände. Feuchtigkeit und Kälte herrschten vor.
Eine Treppe, die gerade so breit war, daß man
zwei Füße nebeneinander stellen konnte, führte in steilen Windungen in eine
unbekannte, höher gelegene Finsternis.
Dort oben raschelte es.
Fledermäuse schienen sich im Gebälk des Turms
eingenistet zu haben. Hier unten aber raschelte es auch.
Hinter verschmutzten Tonkrügen und
Blechnäpfen huschte eine Ratte davon, als X-RAY-3 seine Taschenlampe aufflammen
ließ. Die dunklen Augen des Tieres glitzerten kalt.
Die Frau erreichte gerade noch die erste
Treppendrehung, als Larry - vier Stufen auf einmal nehmend - hinter ihr auf
tauchte, sie griff und festhielt.
Die Verfolgte gab nicht mal einen Schrei von
sich. Sie sackte einfach in die Knie und blieb ängstlich zitternd auf der
Treppe sitzen.
„Was ist nur los mit Ihnen?“ X-RAY-3 sprach
sehr ruhig. „Warum sind Sie davongelaufen? Hatten Sie plötzlich Angst vor mir?“
„Nein ... nicht vor Ihnen.“ Sie sprach sehr
leise und atmete schnell. Sie war erschöpft.
„Vor wem denn?“
„Ich weiß nicht ..
„Ich werde aus Ihnen nicht klug, Missis ...“
„Anderbill... Rosemarie Anderbill ...
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