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Feuer auf See

Feuer auf See

Titel: Feuer auf See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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Feuer auf See
    Die ‘Pyrenees’, deren eiserne Planken von ihrer Weizenlast tief ins Wasser gedrückt wurden, rollte träge und machte es dem Manne leicht, der aus einem kleinen Auslegerkanu an Bord kletterte. Als er die Reling in Augenhöhe hatte, so daß er an Bord sehen konnte, schien es ihm, als sähe er einen schwachen, kaum wahrnehmbaren Nebel. Es war wie ein flimmernder Schleier, der sich plötzlich über seine Augen gelegt hatte. Er spürte eine Neigung, ihn hinwegzuwischen, und dachte zugleich, daß er anfinge, alt zu werden, und daß es Zeit würde, sich aus San Francisco eine Brille kommen zu lassen.
    Als er die Reling erreicht hatte, warf er einen Blick auf die hohen Masten und dann auf die Pumpen. Sie arbeiteten nicht. Dem großen Schiffe schien nichts geschehen zu sein, und er fragte sich, warum es das Notsignal gehißt hätte. Er dachte an seine glücklichen Insulaner und hoffte, daß es keine Krankheit wäre. Vielleicht waren das Wasser oder die Vorräte auf dem Schiffe ausgegangen. Er begrüßte den Kapitän, dessen hageres Gesicht und sorgenschwere Augen kein Hehl machten aus dem Unglück, welcher Art es nun sein mochte. In demselben Augenblick spürte der Mann einen feinen, fast unmerklichen Geruch. Er glich dem von verbranntem Brot, war aber doch anders.
    Neugierig blickte er sich um. Zwanzig Fuß entfernt kalfaterte ein Matrose mit müdem Gesicht das Deck. Als seine Augen auf dem Manne hafteten, sah er plötzlich unter dessen Händen eine schwache Nebelspirale aufsteigen, die sich kräuselte, drehte und dann verschwunden war. Gleichzeitig fühlten seine bloßen Füße eine dumpfe Wärme, die schnell durch die dicken Schwielen drang. Jetzt wußte er, welches Unglück. das Schiff betroffen hatte. Sein Auge streifte schnell das Vorschiff, wo die ganze Mannschaft ihn gierig mit sorgenvollen Mienen betrachtete. Der Blick seiner klaren braunen Augen glitt wie ein Segen über sie hin, beruhigte sie und hüllte sie gleichsam in den Mantel eines großen Friedens. »Wie lange brennt das Schiff schon, Kapitän?« fragte er mit einer so sanften, gleichmütigen Stimme, daß es wie das Gurren einer Taube klang.
    Im ersten Augenblick fühlte der Kapitän den Frieden und die Ruhe, die von jenem ausgingen, in sein Herz einziehen; dann kam er wieder zum Bewußtsein alles dessen, was er durchgemacht hatte und noch durchmachen mußte, und er wurde ärgerlich. Mit welchem Recht flößte dieser zerlumpte Taugenichts in Baumwollhosen und Leinenjacke seiner überlasteten, erschöpften Seele Ruhe und Frieden ein? Das dachte der Kapitän nicht; es war nur die unbewußte Gemütsbewegung, die seinen Unwillen hervorrief.
    »Vierzehn Tage«, antwortete er kurz. »Wer sind Sie?«
    »Ich heiße McCoy«, lautete die Antwort in einem Ton, der Sanftmut und Mitleid atmete.
    »Ich meine: Sind Sie Lotse?«
    McCoy ließ seinen segnenden Blick über den großen breitschultrigen Mann mit dem hageren unrasierten Gesicht gleiten, der neben den Kapitän getreten war.
    »Ich bin ebensogut Lotse wie jeder andre hier«, antwortete McCoy. »Wir sind hier alle Lotsen, Kapitän, und ich kenne jeden Zoll dieser Gewässer.«
    Doch der Kapitän war ungeduldig.
    »Ich brauche jemand von den Behörden. Ich muß ihn sprechen, und das schleunigst.«
    »Dann bin ich gerade der Rechte.«
    Wieder dieser einschmeichelnde Schein von Frieden, und dabei sein Schiff als glühenden Ofen unter den Füßen zu haben! Die Augenbrauen des Kapitäns hoben sich ungeduldig und nervös, und seine Fäuste ballten sich, als wäre er im Begriff, dreinzuschlagen.
    »Wer sind Sie, zum Teufel?« fragte er.
    »Ich bin der erste Bürgermeister«, lautete die mit der denkbar sanftesten, angenehmsten Stimme gegebene Antwort.
    Der große breitschultrige Mann brach in ein knurriges Lachen aus, das teilweise belustigt, in der Hauptsache aber nervös war. Er und der Kapitän blickten beide McCoy mit Ungläubigkeit und mit Staunen an. Daß der barfüßige Lump eine so hohe Würde bekleiden sollte, war ihnen unfaßbar. Seine aufgeknöpfte Leinenjacke zeigte eine graubehaarte Brust und die Tatsache, daß er keine Unterjacke trug. Ein abgetragener Strohhut verbarg nur schlecht das zottige graue Haar. Über die Brust wallte ein ungekämmter Patriarchenbart. In jedem billigen Ramschladen hätte man ihn für zwei Schilling so herausstaffieren können, wie er vor ihnen stand.
    »Sind Sie verwandt mit dem McCoy von der ‘Bounty’, dem von dem Meutererschiff, wie?«
    »Der war mein

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