1074 - Das Templerkreuz
selbst, nicht an der Aufnahme. Es ist ein Schatten vorhanden, und der ist wirklich nicht durch das Kreuz hervorgerufen worden. Der ist fremd.«
Ich ging noch näher heran. Ja, Jane hatte recht. Es gab da einen Schatten, und er wies nicht die Form eines Kreuzes auf. Er breitete sich einfach aus, er war da und drängte sich auch von hinten her gegen das Kreuz.
»Was folgerst du daraus?« wollte ich wissen.
»Nichts, im Moment. Allerdings frage ich mich, ob das Kreuz noch immer im Tresor liegt.«
»Soll es denn gestohlen worden sein?« flüsterte die Horror-Oma.
Jane ging nicht darauf ein. »Der Schatten bereitet mir Sorge. Er hat sich auf das Foto übertragen, John. Da ist was, davon bin ich überzeugt. Etwas, was nicht dorthin gehört. Du kannst mich schlagen, du kannst mich auslachen, du kannst alles mögliche über mich sagen, aber du bringst mich nicht von meiner Meinung ab. Ich spüre es, und ich möchte dich an meine alten Kräfte erinnern.«
Deshalb glaubte ich ihr ja. In Jane steckten noch die Hexenkräfte. Zwar nur schwach, aber sie waren vorhanden. Deshalb reagierte Jane hier beinahe wie eine Spürhündin.
Wenn tatsächlich etwas mit dem Kreuz geschehen war, dann mußte es sich auch auf das Foto übertragen haben und war so stark, daß Jane es spüren konnte.
»Jetzt bist du dran, John!«
Ich wußte, was sie damit gemeint hatte. Sie trat etwas zur Seite, um mir die nötige Bewegungsfreiheit zu geben.
Wenn das Foto eine fremde Magie übernommen hatte, dann würde das Kreuz es herausfinden.
Von zwei Seiten schauten Sarah und John zu, wie ich es hervorholte. »Hat es sich erwärmt?« fragte Sarah.
Ich schüttelte den Kopf. Allerdings war ich auch unsicher geworden. Mein Kreuz hatte mir in derartigen Situationen schon oft genug geholfen, aber würde es auch hier reagieren?
Es war irgendwo verrückt, zu weit hergeholt. Wäre es nicht Jane Collins gewesen, die mich darauf hingewiesen hätte, ich hätte die Person ausgelacht.
So aber lagen die Dinge anders. Jane hatte eben das Gespür für gewisse Vorgänge. Auch jetzt stand sie wie unter Strom oder auf dem Sprung. Immer bereit, sofort etwas zu tun.
Das Kreuz veränderte sich nicht, als ich es in die Nähe des Bildes brachte. Mein Talisman reagierte nicht, so daß ich die Hoffnung schon so gut wie aufgegeben hatte.
Bis zu dem Augenblick, als mein Kreuz gegen die Wand tickte.
Ein Blitzstrahl. Eine lautlose Explosion auf dem Bild. Rauch, dicht, aber nicht zu riechen.
Blut wallte hoch, überschüttete das Kreuz, aber nicht uns. Das alles spielte sich in einer anderen Dimension ab, doch derjenige, der die Verantwortung trug, hielt sich nicht zurück.
Auch er zeigte sich in all seiner Scheußlichkeit.
Es war Baphomet!
***
Ich konnte nicht nachvollziehen, was ich in diesen Augenblicken dachte. Vielleicht auch gar nichts, denn mein Blick klebte an der Fratze mit den Karfunkelaugen und der Stirn mit den gewaltigen Hörnern fest. Etwas Urböses strahlte mir entgegen, das einen Moment später blitzartig verschwunden war.
Es gab die Wand, aber es gab kein Bild mehr.
Und auch das Licht der Projektorlampe war erloschen. Dafür schwebte uns ein ätzender und widerlicher Geruch entgegen, der entsteht, wenn Kunststoff verbrennt.
Ich drehte mich um. Lady Sarah war zurückgewichen. Und sie war sprachlos, was bei ihr bekanntlich nicht so oft vorkam. Aber auch sie mußte dieses schreckliche Bildnis gesehen haben und hatte daran zu knabbern.
Ich sah, daß Jane Collins die Hände zu Fäusten geballt hatte. Sie sprach sehr leise. »Ich habe es gewußt, John. Mir war klar, daß sich dort etwas manifestiert hat. Sogar auf dem Bild. Es muß so dicht gewesen sein, daß es sogar mit auf das Foto kam. Und ich habe ihn auch gesehen und ihn erkannt…«
»Baphomet«, sagte ich.
»Genau - er!«
»Kein Wunder«, sagte ich leise. »Die Templer und Baphomet, das war einmal wie Physik und Chemie. Sie haben sich getrennt, aber die andere Gruppe um den Dämon herum ist verdammt stark, wenn sie es sogar geschafft hat, das Kreuz zu entweihen. Es gibt keinen Zweifel für mich. Es steht auf der anderen Seite.«
»Und es wird in einer Sakristei aufbewahrt. In einem Tresor dort, wie wir gehört haben. Glaubst du daran, John?«
»Nein, nicht mehr. Das kann mir niemand mehr erzählen. Es ist etwas mit ihm passiert.«
Sarah Goldwyn war zum Projektor gegangen. Dort stand sie und schaute kopfschüttelnd auf den dünnen Rauch, der immer weniger wurde. »Das Bild ist verschmort, als
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