1074 - Das Templerkreuz
schimpfte leise und schien mit dem Apparat nicht zufrieden zu sein. Bis er plötzlich auflachte. »So, jetzt ist alles in Ordnung. Sie müssen sich nur etwas gedulden. Ich werde Ihnen einige andere Bilder vorher zeigen, die ebenfalls interessant sind.«
Das Versprechen hielt er. So sahen wir Kirchen von außen als auch von innen. Und auch ein sehr wertvolles Altarbild mit Szenen aus dem Leben des heiligen Bernhard von Clairvaux. Denn er war es gewesen, der die Ordensregeln der Templer geschrieben hatte.
»So, jetzt ist es da!« sagte Fuentes, als er das vierte Bild hatte durchlaufen lassen. Seine Stimme schwoll an, als er sagte: »Es ist das geheimnisvolle Stiftskreuz der Templer und bis heute ein wunderbares Kleinod geblieben.«
Das Kreuz erschien auf der Wand.
Schon beim ersten Blick erkannte ich, wie wertvoll es war. Es war nicht einmal sehr groß, aber es bestand aus einer wunderbaren Silberschmiedearbeit mit Emailleeinlagen.
Das Passionskreuz der Templer, das aus einem goldfarbenen Griff hervorragte.
Carlos Fuentes ließ das Bild länger an der Wand stehen, damit wir uns damit beschäftigen konnten.
Er gab auch keinen Kommentar mehr ab. Erst nach einer Minute fragte er mit leiser Stimme: »Hat es Ihnen gefallen? Ist es nicht wunderbar?«
Lady Sarah gab ihm recht. »Ja, es gefällt uns ausgezeichnet. Aber es ist wohl im Original nicht zu besichtigen, oder?«
»Leider nein. Im Tresor ist es besser aufgehoben. Trotzdem hat man immer wieder versucht, das Kreuz zu stehlen, und auch heute gibt man nicht auf…«
»Dann können Sie also nicht sicher sein, daß sich das Kreuz noch dort befindet?«
»Was heißt sicher? Man geht davon aus. Sollte es gestohlen werden, wird sich das schon herumsprechen. Sicherlich nicht bei den Touristen, aber es gibt ja noch andere Menschen auf der Insel. Schauen Sie es sich in Ruhe an, ich bin gleich wieder zurück, weil ich einen Schluck Wasser trinken muß. Das reden hat meine Kehle doch etwas trocken gemacht.« Er ging zur Tür und nickte uns von dort zu. »Bis gleich.«
Ich drehte mich um. Lady Sarah und Jane saßen nebeneinander. Ihren Gesichtern sah ich an, daß der Anblick des Kreuzes sie nicht kalt gelassen hatte. Sie waren fasziniert, und in ihren Augen lag ein entsprechender Glanz.
Jane blieb stumm, was mir bei ihr seltsam vorkam. Normalerweise gab sie immer schnell einen Kommentar zu irgendwelchen Dingen ab, aber nicht an diesem schwülen Abend.
»Hast du was?« fragte ich sie.
»Nein, eigentlich nicht.«
»Was ist mit deinem Kommentar?«
»Es gibt keinen.«
»Ach. Wieso nicht?«
Jane drehte den Kopf, so daß sie jetzt mich und nicht das Bild anschaute. »Kannst mich für eine Spinnerin halten oder nicht, aber irgendwie gefällt mir das Kreuz nicht. Es hat etwas an sich, das spüre ich…«
»Was denn?«
»Etwas Bedrohliches…«
Keiner von uns lachte. Auch mir waren ähnliche Gefühle bekannt, wenn ich mit einem Gegenstand konfrontiert wurde, den ich schlecht akzeptieren konnte. »Kannst du das denn nicht genauer erklären?« fragte Sarah.
»Nein oder kaum. Es ist irgendwie düster. Von einem Schatten umgeben, der nicht dahinpaßt. Ich habe das Gefühl, als wäre es entweiht worden.« Sie schüttelte den Kopf. »Lacht mich nicht aus, aber ich habe euch die Wahrheit gesagt.«
»Keiner lacht«, sagte ich.
Jane stand auf. Sie ging näher an das Kreuz heran und wurde von Sarah und mir beobachtet. Sehr dicht davor blieb sie stehen, wie jemand, der Einzelheiten herausfinden wollte. Etwa eine halbe Minute bewegte sie sich nicht, bis sie dann mit einem Fingerschnicken auf sich aufmerksam machte.
Wir verstanden das Zeichen und standen auf. Sehr nahe traten wir an das Bild heran. Jetzt konnten wir auch Einzelheiten erkennen. Sarah Goldwyn hob ihre Hand und strich über das Kreuz hinweg, während Jane eine skeptisches Gesicht zog.
Ich schaute es mir ebenfalls genau an. Das war schon eine exzellente künstlerische Arbeit, die wir da sahen. Wunderbar gemacht, von einem Meister seines Fachs. Silber und Emaille waren hervorragend miteinander verbunden. Der Corpus schimmerte in einem matten Silber, während kurz vor den Enden des Kreuzes die Emaillearbeiten zu sehen waren. Grüne, nebeneinanderliegende Kreise, die auch miteinander verbunden waren.
»Was ist mit dir, John?« flüsterte die Detektivin.
»Nichts. Was soll sein?«
»Du spürst es also nicht?«
»Nein, aber…«
»Schau auf den Schatten. Er ist hinter dem Kreuz. Das liegt auch nicht am Hintergrund
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