1080 - Hexenwald
hineinpaßte.
Sie war zufrieden, aber sie ließ den Toten nicht liegen. Anena schob die Hände unter die Achselhöhlen der Leiche und wuchtete den Körper in die Höhe. Diesmal brauchte sie keine Kette, um ihn weiterzutransportieren. Sie schleifte ihn hinter sich her und hielt ihn nur am rechten Arm fest. Anena ging nicht tiefer in den Wald hinein, denn sie hatte bereits die Grenze erreicht. An dieser Stelle lichtete er sich bereits. Wenn sie durch die Lücken schaute, konnte sie die normale Wiese sehen, die sich ausbreitete und vom Schein der Sonne gebadet wurde. Das Gras war ebenso feucht wie der Boden. Über beidem lag ein ständiger Dunst wie ein dicker, weißer Schimmel.
Es war ein Gebiet, in das sich so gut wie keine Menschen hineintrauten. Immer feucht, immer sumpfig und mit versteckt liegenden, kleinen Tümpeln, die nur ein geschultes Auge erkennen konnte.
Und auch dann war es meist zu spät.
Wer sich durch diese Gegend bewegte, der spielte oft genug mit seinem Leben. Sackte jemand ein, war er ohne fremde Hilfe verloren. Jetzt aber, im Schein der Sonne, wirkte die Gegend harmlos und wie eine übergroße Spielwiese.
Anena war zufrieden, daß sie niemand sah. Sie zog sich wieder zurück und kümmerte sich um die Leiche. Es gab einen bestimmten Ort, der den Toten schlucken sollte. Und dieser Ort war nur wenige Schritte entfernt. Man mußte ihn kennen, um ihn auch sofort finden zu können, denn er versteckte sich zwischen feuchten Farnen und nassen Büschen.
Der Tote wurde über den Boden geschoben. Er lag auf dem Bauch, und Anena drückte ihn auch durch den feuchten Farn.
Dahinter lag das Loch!
Eine Grube. Ein ausgestochenes Viereck, dessen Innenseiten feucht schimmerten. Es rann immer Wasser entlang nach unten, um sich dort zu sammeln.
Vor dem Loch blieb Anena knien, um in die Tiefe zu schauen. Das letzte Licht verlor sich auf dem Weg zum Grund, aber es reichte trotzdem aus, um sehen zu können, was sich dort unten abzeichnete. Ein genauer Blick wurde ihr nicht gestattet, aber das Gemenge reichte ihr aus. Es bestand aus einer schaurigen Mischung, die sich im Lauf der Zeit gebildet hatte.
Auf der einen Seite waren die dünnen Zweige zu sehen. Auch die Blätter, die dunkel und feucht glänzend von ihn wuchsen. Auf der anderen Seite aber gab es dort noch etwas. Blasse Haut, ein Gesicht. Arme und Beine, andere Glieder, die eigentlich keine mehr waren, weil andere Kräfte sich ihrer bemächtigt hatten.
Hier war die Natur dabei, mit einem Körper eine neue Einheit zu bilden. Aus zwei mach eins. In diesem Gemenge kochte es. Hier liefen magischchemische Vorgänge an. Dort unten wurde der Mensch zu einem Teil der Natur, aber nicht so wie er geboren und später ausgewachsen war. Er veränderte sich, denn da unten lauerte jemand wie ein gefräßiges Untier, der nur darauf wartete, neue Beute zu bekommen, um sie für sich zu verwerten.
In der Umgebung der Grube war es still. Nicht in ihr selbst. Dort tat sich etwas. Da bewegte sich das, was hineingeworfen worden war. Manchmal hörte Anena ein Rascheln, dann wieder drang ein leises Klatschen oder Schmatzen an ihre Ohren, als wäre jemand dabei, mit besonderem Genuß etwas zu verspeisen.
Anena kniete am Rand und hatte den Oberkörper nach vorn gebeugt. Zudem den Kopf gesenkt, damit, sie alles so gut wie möglich erkennen konnte. Über ihren Mund glitt ein Lächeln. Sie war sehr zufrieden, denn unten hatte er ihr Opfer angenommen. Er wartete auf das nächste, das er mit seinen starken Armen umfangen würde, um es so zu verändern, damit es in seine Welt hineinpaßte.
Sie wartete noch einige Sekunden, bevor sie ihren Körper streckte, aber mit starrem Rücken knien blieb. Sie griff nach rechts und erwischte den Toten. Sie schob den Mann neben sich entlang auf die Öffnung zu. Noch einmal gelang ihr ein Blick in das Gesicht, das noch zu einem Menschen gehörte.
Bald nicht mehr. Dann würde er sich dieser toten Person annehmen und sie zu einem Teil seiner Welt machen.
Die Wangen, die Stirn und der Hals waren verschmiert. Schmutz und grünlichbraune Pflanzenreste klebten auf der Haut. Die offenen Augen sahen aus wie Kugeln, die weiterglitten und dann abkippten, als der Kopf zuerst eintauchte.
Dann kippte der Tote und fiel in die Grube.
Anena verfolgte seinen Weg. Sie hörte zu, wie er aufschlug. Es gab keinen Krach, keinen dumpfen Laut. Eher ein leises Rascheln wie von feuchtem Blattwerk abgegeben, das zusammenklatschte.
Der Tote sank ein.
Nicht ganz, denn der
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