1081 - Die Mutprobe
daß sich diese Menschen in Monstren verwandelten, wenn sie dann ihr Leichenhemd abgelegt hatten. Daß sie ihre Seele dem Teufel gern abgaben, um auch weiterhin existieren zu können. Wenn auch in der tiefen Erde, aber sie erstickten dann nicht und gerieten auch nicht in den großen Kreislauf der Verwesung.
War es bei Pretorius ähnlich?
Davon konnte ich zwar nicht ausgehen, aber der Gedanke daran ließ mich nicht los. Ich überlegte, was aus ihm geworden sein könnte.
»Sie haben gesagt, Milena, daß Sie etwas Schreckliches gespürt haben, was soeben geschehen sein muß.«
»Das habe ich.«
»Und es hing mit Pretorius zusammen. Er war also daran beteiligt, nehme ich an.«
»Das muß wohl so gewesen sein.«
»Gut, Milena. Wenn wir davon tatsächlich ausgehen, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß Pretorius vom Grab aus dieses Schreckliche getan hat. Dann muß er aus dem Grab herausgestiegen sein. So unwahrscheinlich sich das auch anhört, aber ich sehe da keine andere Möglichkeit. So wie Sie ihn mir geschildert haben, könnte das auch zutreffen - oder?«
Alle hörten wir sie atmen. Sie sammelte sich und flüsterte: »Hören Sie auf, Mr. Sinclair. Bitte, hören Sie auf. Ich will nicht daran denken. Daß ich seine Aura spüre, ist schon schlimm genug, doch die Vorstellung, ihm leibhaftig gegenüberzustehen, macht mich fertig. Das bringt mich an den Rand der Verzweiflung.«
»Wir können es aber nicht von der Hand weisen«, sagte ich leise. »Besonders nach allem, was ich von Ihnen erfahren habe. Es ist mit dem Schlimmsten zu rechnen.«
»Glauben Sie denn an Sagen?«
»Legenden und Sagen haben uns schon oft genug Antworten gegeben. Wir kennen auch die Macht des Teufels. Sie ist unheimlich stark, und auch mit ihm haben wir unsere Erfahrungen sammeln können. Für den Höllenherrscher gibt es keine Hindernisse und kein Unmöglich. Das klingt zwar bitter, ist aber leider eine Tatsache.«
Milena Kovac legte die Hände zusammen wie jemand, der beten will. »Dann rechnen Sie damit, daß wir auf dem Friedhof einer real existierenden Person begegnen werden?«
»Davon gehe ich aus.«
Sie schloß die Augen. Sie schluckte und stöhnte leise vor sich hin. »Ja, Sie mögen recht haben, Mr. Sinclair. Ich denke ebenso. Ich habe ihn auch so stark gespürt, und ich will Ihnen ehrlich sagen, daß ich Angst habe.«
»Das ist menschlich.«
»Weit ist es auch nicht mehr.«
»Sie sagen Bescheid.«
»Ja, das mache ich.«
Ich wunderte mich darüber, daß derjenige, der am meisten betroffen war, sich so ruhig verhielt.
Mike Warner saß stumm neben Suko. Ich konnte ihn im Innenspiegel sehen. Er hatte sich in die Ecke gedrängt und an der Innenseite der Tür abgestützt. Er starrte durch das Fenster, die Hände noch immer auf dem Rücken gefesselt.
Wußte er mehr?
Bestimmt, denn er hatte in Pretorius' Namen gehandelt, aber er hielt sich zurück.
Milenas Stimme riß mich aus meinen Gedanken. »Sie müssen achtgeben, Mr. Sinclair. Es führt gleich ein Weg nach rechts ab. Es ist die letzte Strecke bis zum Friedhof.«
»Gut, danke.«
Ich hatte das Fernlicht eingeschaltet. Eine sehr gute Sicht sorgte dafür, daß ich die Einmündung nicht verfehlte. Hier stand kein Haus, der Friedhof lag wirklich am Ende der Welt. Ein alter Totenacker, der längst in Vergessenheit geraten war.
Wir verließen die glatte Fahrstrecke. Ich fuhr jetzt wieder mit normalem Licht und schaltete es auf Milenas Rat hin aus. Es war besser, wenn man uns nicht sah oder erst so spät wie möglich.
Jetzt schaukelten wir unserem Ziel entgegen. In der Dunkelheit hatten wir das Gefühl, durch einen Tunnel zu fahren. Ein finsteres Loch, begrenzt durch Buschwerk und durch einen Graben an der rechten Seite, wie mir Milena sagte.
»Waren Sie schon hier?«
»Ja, aber tagsüber.«
»Und, was spürten Sie?«
»Nichts.«
»Aber Sie kennen sein Grab?«
»Sicher. Ich habe davorgestanden. Ich hatte längst gemerkt, daß ich in seine Aura hineingeraten war und wollte die Konfrontation, auch wenn ich nicht sicher war, daß ich gewinnen würde.« Sie zuckte die Achseln. »Wie schon gesagt, er hat sich zurückgehalten. Die Gründe kann ich Ihnen nicht nennen.«
Wir hatten auf der Fahrt recht wenig Nebel gehabt. Das änderte sich, je näher wir dem Friedhof kamen. Der Teufel persönlich schien seinen Brodem ausgepustet zu haben, um uns zu behindern.
Träge zogen die Schwaden an uns vorbei und erinnerten manchmal an lebende Gebilde, die uns einen letzten Gruß
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