1086 - Der Vampir und der Engel
selbst nahm die Bestellung entgegen. Sie war um die 30 und hätte mit ihrer folkloristischen Kleidung, bei der auch die hellroten Stiefel auffielen, in jede ungarische Operette hineingepaßt. Sie schwärmte in den höchsten Tönen von ihrem Dessert. Dabei blitzte es in ihren Pupillen, als wären sie von dunklen Feuerzungen durchweht worden.
»Wir lassen uns überraschen«, sagte ich.
»Das können Sie auch.«
Shao kam wieder auf das Thema zurück. Sie hatte sich ausbedungen, daß an diesem Abend keine beruflichen Themen angeschnitten werden, und daran hatten wir uns bisher gehalten.
»Sagt mal, ihr beiden, habt ihr denn alle Weihnachtsgeschenke zusammen?«
Suko und ich schauten uns an. Wie abgesprochen zuckten wir mit den Schultern.
»Ah, die Weihnachtsmuffel.«
»Wieso?«
»Ich brauche nur in eure Gesichter zu schauen.«
»Es macht uns auch so viel Spaß«, sagte ich. »Für dich, Shao, und auch für Suko habe ich noch nichts.«
»Ich will auch nichts«, sagte mein Freund.
»Na bitte.«
Wir waren wieder bei der Diskussion über Sinn und Unsinn weihnachtlicher Gaben angelangt. Jedes Jahr der gleiche Zirkus, der mir auf die Nerven ging.
Die Frauen dachten darüber oft anders, und da machte auch Shao keine Ausnahme, die immer nur von Kleinigkeiten sprach, die man doch schenken sollte.
Wir bekamen das Dessert, probierten und waren nahe, daran, die Augen zu verdrehen. Die in Rotwein eingelegten Pflaumen waren wirklich ein Genuß. Hinzu kamen noch die Gewürze, und wer wollte, der konnte noch Eis dazu bestellen.
Wir beließen es bei den Pflaumen und verzichteten auf das Eis. Ich leerte meine Schale allein, während Suko bei Shao mitaß.
Als Überraschung des Hauses gab es noch einen Schnaps. Aus Aprikosen gebrannt, der so richtig im Magen aufräumte oder die Dinge entsprechend verteilte.
Shao nippte, trank dann mehr und verzog das Gesicht. Sie sprach davon, daß er schon super war, für sie allerdings zu stark, und so mußte ich mich opfern, was ich gern tat, denn das flüssige Obst schmeckte mir gut.
Wir hatten nicht vor, den ganzen Abend zu bleiben. Es war zwar kein anstrengender Tag gewesen, sondern einer im Büro, doch vielleicht auch deshalb war er erschöpfend gewesen, zumindest für Suko und mich, denn uns hatte irgendwie die Action und die damit verbundene frische Luft gefehlt.
Wir waren beide recht müde.
Zu Hause die Beine hochlegen, in die Glotze schauen, vielleicht noch etwas lesen, das wäre es gewesen. Ich jedenfalls wollte den Tag so beschließen.
Beim Begleichen der Rechnung lobte ich die Suppe und auch das Dessert noch einmal besonders, und die Besitzerin konnte sich an mich erinnern.
»Ja, sie waren schon mal hier, Mister.«
»Stimmt.«
»Dann kann ich Sie schon zu den Stammkunden zählen.«
»Unbedingt.«
Wir waren nicht mit dem Auto gekommen. Das stand in der Tiefgarage unseres Hauses. Zu Fuß gingen wir auch wieder zurück. Der Schneeregen hatte glücklicherweise aufgehört. Trotzdem war das Verkehrschaos in dieser von Lichtern erfüllten Stadt noch gewaltig. Auch in London merkte man immer stärker, daß Europa zusammenwuchs. Eine alte Tradition vom Festland war an bestimmten Stellen übernommen worden. Es gab auch bei uns jetzt kleine Weihnachtsmärkte, obwohl viele meiner Landsleute auch an Wochenenden den Trip aufs Festland, besonders nach Deutschland nicht scheuten, um dort die weihnachtlichen Märkte zu besuchen. Aber London würde aufholen, da war ich mir sicher.
Der Schnee fiel nicht. Dafür spürte wir den Wind, der in unsere Gesichter wehte. Ich wickelte den Schal fester und steckte meine Hände in die Jackentaschen. Shao hatte sich bei Suko eingehängt und ging dicht neben ihm.
Der Abend hatte mir gefallen. Mal keinen Dienst, keine Gedanken an irgendwelche Dämonen und andere Geschöpfe. So etwas tat einem Menschen immer gut.
Das Haus, in dem wir wohnten, lag nicht weit entfernt und war zu sehen. Es stach in die Luft wie eine gewaltige Streichholzschachtel mit erleuchteten Fenstern. Das zweite Haus stand daneben und um die beiden Bauten gruppierten sich Parkplätze.
Ich lächelte vor mich hin, weil ich einfach zufrieden war, doch dieses Lächeln zerbrach, als ich das Haus betreten hatte und eine mir sehr gut bekannte Frau sah, die nahe der beiden Fahrstühle auf und ab ging.
»Das ist doch Sheila«, sagte Shao hinter mir. »Himmel, da muß was passiert sein.«
Sheila hatte uns gesehen. Ihr brauner Mantel stand offen und wehte jetzt, als sie auf uns zugelaufen
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