1086 - Der Vampir und der Engel
kam. Ein Blick in ihr Gesicht reichte aus, um erkennen zu lassen, daß etwas passiert war.
»Endlich treffe ich euch…«
Ich hielt ihre kalten Hände fest. »Was ist denn los?«
»Bill…«
»Was ist mit ihm?«
»Er hat mir einen Hilferuf geschickt!«
Mit unserer lockeren Stimmung war es vorbei. »Dann komm erst mal mit hoch«, sagte ich…
***
Wir waren in meine Wohnung gegangen. Ich hatte Licht angemacht, und im Fahrstuhl hatte uns Sheila von Bills Anruf informiert, den sie nicht persönlich entgegengenommen hatte. Er war auf dem Anrufbeantworter aufgezeichnet worden, und sie hatte die Kassette entnommen.
»Ich habe versucht, ihn über Handy zu erreichen. Ich bin fest davon überzeugt, daß er es nicht abgestellt hat, aber er ging nicht dran. Da müssen in den Bergen Funklöcher gewesen sein.« Sie ging hin und her. Nicht einmal den Mantel hatte sie ausgezogen. »Auch bei seinem Anruf war die Qualität sehr schlecht.«
»Nun setz dich erst einmal«, sagte Shao und drückte die Freundin zurück. »Wir werden gemeinsam überlegen, was wir tun können.«
»Das wird schwer sein. Uns bleibt nicht viel Zeit.« Sheila schaute verzweifelt zu Shao hoch.
Suko und ich hatten uns um das Band gekümmert und es in meinen Anrufbeantworter eingelegt.
Wir glaubten Sheila. Es gab keinen Grund für sie, uns anzulügen.
»Ihr müßt es noch zurückspulen.«
»Wollte ich gerade tun.« Ich drückte den entsprechenden Knopf, wartete einige Sekunden und betätigte die Stopptaste. Dann ließ ich das Band wieder vorlaufen. Die Lautstärke hatte ich auf die höchste Stufe eingestellt.
Zuerst hörten wir die Nebengeräusche, dann aber war Bills Stimme zu verstehen. Sie klang sehr undeutlich, weit entfernt, und es war auch nicht jedes Wort zu verstehen. Es gab einfach zu viele Lücken, aber wichtige Dinge bekamen wir schon mit.
Sheila hatte uns zudem erzählt, daß sich Bill in einem Zug befand. Er war in Glasgow eingestiegen, wollte die Nacht durchfahren, um am Morgen in London zu sein.
Das hätte auch sicherlich geklappt, wären ihm da nicht gewisse Dinge in die Quere gekommen.
Wir enthielten uns eines Kommentars. Dafür hörten wir uns den Anruf noch zweimal an. Es stand fest, daß Bill im Zug einem Vampir begegnet war. Er hatte ihn nicht besiegen können und fürchtete nun, daß der Blutsauger die Fahrgäste im Zug zu Untoten machte. Er hatte alle Zeit der Welt, und zwischen den Stopps würde niemand aussteigen.
Ich stellte das Gerät ab.
Niemand von uns sagte etwas. Sheila starrte auf den Fußboden.
Suko übernahm schließlich das Wort. »Ich glaube nicht, daß Bill sich das eingebildet hat. Es gibt den Vampir. Ich bin davon überzeugt. Einen besseren Hinterhalt hätte er sich nicht aussuchen können. Wer von den Fahrgästen kann ihm schon entwischen?«
»Ja, das ist furchtbar«, flüsterte ich.
»Und Bill steht allein«, sagte Sheila mit ebenfalls leiser Stimme. »Keiner kann oder wird ihm helfen. Verdammt noch mal, er schwebt in Lebensgefahr. Dieser Anruf ist ein Hilferuf gewesen. Wir müssen etwas dagegen unternehmen.«
»Der Zug muß gestoppt werden«, sagte Shao.
Suko drehte sich ihr zu. »Einverstanden. Aber sag, wie wir es anstellen können.«
»Ich bitte dich, nicht du kannst das veranlassen, auch nicht John. So etwas muß Sir James in die Wege leiten.«
»Daran habe ich auch gedacht«, flüsterte Sheila.
Die drei schauten mich an, weil ich mich aus dem Dialog herausgehalten hatte. »Das ist alles schön und gut, aber welchen Grund soll Sir James angeben?«
»Die Wahrheit!« rief Sheila.
»Ach ja? Wer würde ihm glauben? Wer von denen, die aufgrund ihres Amtes in der Lage sind, einen Zug zu stoppen, glaubt schon an Vampire?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, so geht das nicht.«
»Dann muß man sich eben etwas anderes einfallen lassen«, sagte Suko.
»Damit kommen wir der Sache schon näher.«
»Welche Ausrede denn?« Shao nagte an ihrer Unterlippe. »Wenn man durchblicken läßt, daß sich ein Terrorist oder ein gefährlicher Mörder im Zug aufhält, müßte es doch möglich sein. Oder seht ihr das anders?«
Wir schüttelten die Köpfe. Im Augenblick fiel uns wirklich keine andere Möglichkeit ein.
Ich übernahm wieder das Wort. »Auch das wird Ärger geben, fürchte ich.«
Sheila regte sich auf. »Willst du Bill denn hängenlassen?«
»Unsinn, davon war auch nicht die Rede. Ich habe nur betonen wollen, daß alles nicht so einfach ist.«
»Was hätten wir davon, wenn der Zug auf freier
Weitere Kostenlose Bücher