1086 - Der Vampir und der Engel
links wie kleine Wände erhoben, und sie erinnerten ihn an das, was hinter ihm lag.
Die Gedanken waren noch schwammig. Wie dicke Klumpen, die allmählich zusammenflossen. So schufen sie dann ein Bild, aus dem sich Estelle, der Vampir und schließlich der Niederschlag herauskristallisierten. Das Kinn war um die doppelte Größe angewachsen. Zumindest glaubte Bill das.
Es hatte sich auch niemand blicken lassen und ihn aus dem Abteil geschafft. Die Abteile am Ende des Wagens schienen einfach tabu zu sein.
Bill bewegte sich vorsichtig. Er lag auf dem Rücken, die Beine angezogen. Er bezweifelte, lange bewußtlos gewesen zu sein. Höchstens Minuten.
Er betastete das Kinn.
Es tat weh. Am Hinterkopf pumpte ebenfalls der Schmerz, und Bill ärgerte sich auch darüber, daß er sich so hatte übertölpeln lassen. Dabei war er durch Estelle Crighton gewarnt worden, nur hatte er diese Warnungen nicht so richtig ernst genommen.
So etwas rächte sich meistens.
Er quälte sich hoch. Der Blick glitt dabei durch das ansonsten leere Abteil. Wieder kam ihm zu Bewußtsein, daß der Blutsauger Estelle mitgenommen hatte.
Schwerfällig kam er auf die Beine und nutzte dabei eine Sitzfläche als Stütze, auf die er sich wieder fallen ließ. Dabei streifte sein Blick über den Abteilboden hinweg, und er sah seine Pistole dort liegen, die Ezra York nicht mitgenommen hatte.
Wenigstens etwas, dachte er. Bill holte sich die Waffe.
Allmählich hörte das Schwanken auf. Er konnte sich ausruhen, was er auch mußte, denn er rechnete mit einer Rückkehr des Blutsaugers.
Diese Typen brauchten Blut, und sie gaben sich oft genug nicht mit einem Opfer zufrieden. Aber er dachte weniger an sich als an Estelle Crighton. Es war ihm nicht gelungen, sie zu beschützen, und jetzt hatte der Vampir freie Bahn bei ihr.
Er hatte versagt. Es war nicht abzustreiten. Das Böse hatte die Oberhand gewonnen, und Bill verfluchte sich und seine Schwäche. Er fragte sich, wo Estelle und der Blutsauger steckten. Alles war möglich. Sie konnten ebensogut den Zug verlassen haben. Bill hatte erlebt, daß es Vampire gab, die sich in Fledermäuse verwandelten und ihre Beute mit sich zogen. Alles war möglich, und er merkte, wie die Kälte allmählich seine Brust im Innern umschloß.
Der Zug fuhr weiter. Er war so leicht nicht aufzuhalten, es sei denn, durch äußere Einflüsse. Ein Hindernis auf den Schienen, ein Anschlag, oder das Ziehen der Notbremse.
Davon wollte Bill zunächst Abstand nehmen. Er sah selbst ein, daß er auf verlorenem Posten stand.
Ein blutgieriger Vampir in einem fahrenden Zug, etwas Besseres konnte es für Ezra York nicht geben. Die lebendige Beute war nicht in der Lage, zu entkommen.
Bill stand auf. Es klappte, wenn auch nicht optimal. Schließlich war sein Kopf nicht aus Holz geschnitzt worden. Mit kleinen Schritten näherte er sich der Tür, die nicht geschlossen war und zur Hälfte offenstand. Sie bewegte sich leicht im Rhythmus der Fahrt, und Bill gelang es, seinen Kopf durch den Spalt zu stecken und nach rechts und links zu spähen.
Ein leerer Gang, schwach beleuchtet. Selbst das Licht schien in den Fahrtbewegungen des Zuges zu tanzen. Vielleicht kam es ihm auch nur so vor.
Der Reporter zog sich wieder zurück. Die abendliche Stille beruhigte ihn auf der einen Seite, auf der anderen aber machte sie ihn nervös. Er hatte auch damit gerechnet, Schreie zu hören, den Yorks Erscheinen bedeutete auch eine gewisse Panik, doch kein Laut erreichte seine Ohren.
Er zog sich wieder zurück. Was tun? Das Personal warnen? Den Leuten von einem blutgierigen Monster erzählen, das den. Zug unsicher machte?
Nein, das konnte er sich abschminken. Außerdem wollte er nicht ausgelacht werden. Man würde ihn unter Umständen sogar für verrückt halten. So etwas glaubte ihm niemand. Deshalb fühlte sich Bill allein auf weiter Flur.
Er nahm hin, daß ein Vampir den Zug besetzt hielt und fragte auch nicht nach den Gründen, wer dieser Blutsauger war. Ob er allein oder in einem Auftrag handelte.
Hilfe holen. Woher?
Bill hatte sein Handy bei sich und hoffte auf eine gute Verbindung im Zug. Er hatte vorgehabt, seine Frau Sheila anzurufen. Diesen Vorsatz stellte er zunächst zurück und wählte die Nummer seines Freundes John Sinclair.
Die Verbindung kam zustande, aber John war nicht im Haus. Er hatte den Anrufbeantworter nicht eingeschaltet. Bill fluchte und versuchte es bei Suko, der mit Shao im gleichen Haus wohnte, direkt neben John.
Auch da hatte er
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