1094 - Der Mann aus Haiti
Neo-Liquitiv. Das macht überhaupt nicht süchtig. Es vergrößert nur die Hypophyse und pulvert derartig auf, daß sich der individuelle Zeitablauf verdoppelt. Es gilt als schick, es einzunehmen, bevor man einen Zehntagesurlaub auf einem von Mutter Ngyos Schiffen antritt. Man hat dann viel mehr von den... Was machst du hier, Junge? Spionierst du?"
Eric wollte sich davonstehlen, aber ein Anti packte seinen Arm und zog ihn zu sich heran.
„Du bist ja nur ein Bündel Haut und Knochen", stellte er verwundert fest. „Bekommst du nicht genug zu essen? He, Rob! Ein Steak und ein Bier für den jungen Mann hier! Komm, setz dich, Junge! Vor uns brauchst du dich nicht zu fürchten." Er drückte Eric auf einen Stuhl. „Ich heiße Teary Tats. Meine Großmutter ist Terranerin. Lustige alte Dame. Na, was wolltest du hier? Und wie heißt du?"
„Eric Weidenburn", sagte der Junge leise. „Ich interessiere mich dafür, was Raumfahrer alles erleben, vor allem im Hyperraum. Dort soll es Phänomene geben ..."
„Hört euch das an!" rief ein anderer Anti. „Phänomene! Ein halbverhungertes Kind und redet wie ein studierter Mann!"
Der Robotkellner kam und servierte auf einem großen Teller ein kiloschweres Rindersteak mit einem Berg Röstkartoffeln und zwei Händen voll gemischtem Salat. Dazu stellte er einen Literkrug schäumenden Bieres.
„Jetzt laßt ihn mal in Ruhe!" sagte Teary. „Iß und trink, mein Junge!"
Eric wurde fast schlecht, als er das viele Fleisch sah, aber er wollte sich das Wohlwollen der Antis erhalten.
„Bier möchte ich nicht trinken", erklärte er verlegen, während er Messer und Gabel zur Hand nahm. „Meine Mutter sagt immer, Alkohol sei Gift für mich, weil ich so oft krank bin."
„Wer mit uns ißt, trinkt auch mit uns", sagte ein Anti verärgert.
„Ach, laß ihn nur!" erklärte Teary. „Rob, bring dem Jungen eine Limonade!"
Dankbar lächelte Eric dem Anti zu, dann aß er langsam, aber systematisch. Er aß auch dann noch weiter, als er fürchtete, platzen zu müssen.
„Hyperraum-Phänomene", sagte der älteste Anti am Tisch. „Darüber gibt es eine Menge Geschichten. Ich kannte mal einen Bordfunker, der hatte einen Onkel, der Astrogator auf einem Tempelschiff war. Dieser Mann, ich meine den Onkel, nahm eines Tages an einer kultischen Zeremonie teil, bei der sich alle Leute auf dem Schiff zu einem Parablock zusammenschlossen. Dabei kam es zu einer Erscheinung. So etwas wie eine gigantische Energieblase erschien und nahm die Teilnehmer der Zeremonie in sich auf. Sie fühlten sich angeblich, als stünden sie an der Grenze zu einer Veränderung in etwas Unbegreifliches. Doch dann stieß die Blase sie wieder aus, als wären sie ein unverdaulicher Brocken."
Einige Antis lachten.
„Nun, wie war die Geschichte, Junge?" fragte der alte Anti.
Eric konnte nicht sofort antworten, da ihm das letzte Stück Steak immer wieder hochkam und er es jedes Mal tapfer wieder herunterschluckte. Schließlich half sich seine Natur durch ein kräftiges Aufstoßen.
„Entschuldigung!" sagte er und wischte sich den Mund mit einer Papierserviette ab.
„Was hältst du von Hakasts Geschichte?" erkundigte sich Teary.
„Ich weiß es nicht", antwortete Eric nachdenklich und wahrheitsgemäß.
Zwei Uniformierte betraten das Lokal. Die Gäste erstarrten. Einige von ihnen schienen ein schlechtes Gewissen zu haben.
„Hallo!" rief einer der Uniformierten. „Hat jemand von euch einen vierzehnjährigen Jungen gesehen, der wie ein Zehnjähriger..." Er sah Eric und winkte. „Du bist Eric Weidenburn, nicht wahr? Komm her!"
„Was wollt ihr von ihm?" rief Teary Tats.
„Ihn nach Hause bringen. Seine Mutter sucht ihn schon seit Stunden. Sie macht sich Sorgen."
„Dann lauf, Junge!" sagte Teary.
*
Acht Wochen später, man schrieb den 4. Januar 336 NGZ, konnte Eric seine Mutter dazu überreden, ihn doch wieder zum Raumhafen gehen zu lassen. Sie sah schweren Herzens ein, daß der nunmehr fünfzehnjährige Junge mehr Bewegungsspielraum brauchte, um selbständiger zu werden.
Eric hatte in der Zwischenzeit eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse hinter sich gebracht und während der Zeit, in der er das Bett hüten mußte, nach den Anleitungen dreier Lesespulen eine kleine elektronische Apparatur gebaut.
Seiner Mutter hatte er erklärt, daß er für den Wettbewerb „Jugend experimentiert" eine Überlagerungsschaltung zur fernsteuertechnischen Umprogrammierung von Robotern entwickelt hätte, ihr aber verschwiegen,
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