1095 - Der Hexentrank
er in die rechte Manteltasche. Wenig später sah Chris seine Hand wieder. Diesmal war sie nicht leer. Der Mann hatte eine Pistole hervorgeholt und richtete die Mündung auf Chris Talbot.
»Was… was soll das?« hauchte sie.
»Ich werde das Buch bekommen, so oder so. Zeigen Sie sich kooperativ, haben Sie Glück. Wenn nicht, dann muß ich Sie leider erschießen, Chris. Auch wenn es mir leid tut…«
***
Mit einer derartigen Wendung hatte Chris Talbot nicht gerechnet.
Sie wurde von einem Schwindel erfaßt. Die Beine gaben nach, und sie wunderte sich, daß sie trotzdem noch stand und nicht kippte.
Ihre Augen waren geweitet, sie schaute die Waffe an und auch auf das kleine Mündungsloch, das sie anglotzte, so harmlos aussah, es aber nicht war, denn daraus konnte jeden Moment der Tod in Form einer Kugel dringen.
»Nun…?«
»Bitte…«
»Ich habe mich wohl deutlich genug ausgedrückt. Ich werde dieses Haus nicht ohne das Buch verlassen. Noch einmal. Es macht mir nichts aus, Sie umzubringen.«
»Ja«, hauchte Chris, »das glaube ich Ihnen sogar. Verdammt, das ist mir klar.«
»Eben. Also…?«
Auch seine Stimme hatte sich verändert. Sie klang längst nicht mehr so verbindlich. Angesichts der tödlichen Bedrohung blieb Chris nichts anderesübrig, als sich zu fügen. Zugleich dachte sie daran, daß sie wirklich vom Regen in die Traufe gekommen war. Zuerst die schreckliche Sache mit dem immer mehr wachsenden Drachen, und nun stand dieser glatte und widerliche Mann mit einer Pistole vor ihr.
Welches Erbe hatte die Tante ihr nur hinterlassen?
»Ich habe nicht viel Zeit, Chris, da sind wir uns wohl einig. Je schneller Sie handeln, um so früher können Sie sich hinlegen. Denken Sie daran.«
»Kommen Sie bitte mit.«
»Das hört sich schon besser an.«
Chris mußte sich etwas drehen und wurde noch gewarnt, keine Dummheiten zu machen oder sich etwas einfallen zu lassen, das sie später bereute.
»Nein, nein, es geht schon«, sagte sie. »Ich weiß selbst, daß ich am Leben hänge.«
»Sehr gut.«
Ihre Knie waren und blieben weich, als sie mit langsamen Schritten auf eine bestimmte Tür zuschritt. Hinter ihr lag die Bibliothek.
Sie hatte das Zimmer deshalb so genannt, weil sie all die alten Bücher dort untergebracht hatte. Sie standen in Regalen, und nach dem Abenteuer mit dem Drachen hatte Chris keines der Bücher angefaßt oder auch nur einen Blick hineingeworfen.
Sie zog die Tür auf.
Der Mann war hinter ihr. Nicht zu dicht. Er hielt Abstand, und sie spürte, wie über ihren Körper ein Frösteln glitt.
»Mach Licht, Chris.«
»Ja, schon gut.«
Das Licht zweier Lampen vertrieb die Dunkelheit. Es wurde nicht zu hell im Raum, aber es reichte aus, um sich orientieren zu können, und auch die Titel auf den Buchrücken waren zu lesen.
Nach zwei Schritten mußte Chris stehenbleiben und die Hände hochheben. Der Mann kam auf sie zu. Er streckte ihr die Waffe so nahe entgegen, daß sie beinahe ihre Stirn berührte.
»Ich gebe Ihnen noch einmal den Rat, keine Dummheiten zu machen. Eine Kugel ist immer schneller als der Mensch.«
»Ich weiß.«
»Wunderbar.«
George Mannix dirigierte Chris bis zu einer freien Wand, vor der sie sich niederlassen mußte. Auf den Boden setzen, die Knie anziehen, die Hände darum legen.
Sie tat es. Die Pistole war Argument genug. Und sie schämte sich auch, weil bei der Bewegung die Schöße des Bademantels zur Seite rutschten und sehr viel von ihren Beinen zu sehen war.
Mannix quittierte es mit einem Nicken und einem Lächeln. »Ein sehr schöner Anblick. Glatte Haut, festes Fleisch, einfach gut.«
Chris verzog ihr Gesicht. »Sie sind ekelhaft.«
»Nein, nur ein Mann.«
Er ließ es zu, daß Chris die Schöße des Bademantels wieder zurechtzupfte. »Denken Sie immer daran, daß ich Sie beobachte, auch wenn es nicht so aussieht.«
»Ich weiß.«
»Wo finde ich das Buch?«
»Keine Ahnung, Mr. Mannix. Sie müssen es schon suchen.«
Aus schmalen Augen schaute er zu ihr hinab. »Sie werden lachen, ich glaube Ihnen sogar.«
»Wie nett.«
Er wartete noch. Etwas passierte mit ihm. Chris sah es sehr deutlich. In seinem Gesicht bewegten sich die Wangen. Sie zogen sich zusammen und bildeten in der Mitte kleine Mulden. Ihr kam es vor, als wäre der Mann dabei, inseinem Mund etwas zu sammeln. Dabei spitzte er die Lippen, zog die Wangen schließlich wieder zusammen und spie einen Moment später das aus, was er in seinem Mund gesammelt hatte.
Es war eine dicke, grüngelbe
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