1098 - Das brennende Gesicht
stand ein wenig versetzt. Man erreichte es über einen mit Steinen belegten Weg. Es war ein kleines Haus, und die Familie vermietete auch keine Wohnungen an Feriengäste. Jans Mutter arbeitete gern im Garten, den sie hinter dem Haus angelegt hatte.
Das war auch Oles Ziel.
Er blieb für einen Moment unter dem Gerippe eines Apfelbaums stehen und schaute an der Fassade hoch. Das Dach zeigte ebenfalls eine dicke Schicht aus Schnee.
Jans Zimmer lag in der ersten Etage. Hinter dem Fenster entdeckte Ole zu seiner Überraschung Lichtschein. Vermutlich war Jan noch wach und konnte ebenfalls keinen Schlaf finden. Das vereinfachte die Sache natürlich.
Er suchte den Boden nach kleineren Wurfgeschossen ab und hatte die entsprechenden Steine bald gefunden. Dreimal warf er sie hoch gegen das Fenster und traf immer.
Er wartete.
Sekunden später wurde es geöffnet, und Jan Michels streckte seinen Kopf ins Freie.
»He, ich bin es!«
»Ole?«
»Ja.«
»Was ist denn?«
»Komm runter!«
»Warum? Ist was…«
»Komm, verdammt! Ich brauche dich jetzt. Ich muß mit dir sprechen, Jan.« Ole hatte die Bitte mit großem Nachdruck ausgesprochen. Er sah, daß Jan nickte. Dann wurde das Fenster geschlossen.
Ole war überzeugt, daß sein Freund ihn nicht im Stich lassen würde.
Aber es dauerte seine Zeit, bis sich Jan zeigte. Als hätte er sich noch anziehen müssen.
Dann aber war er da. Er hatte das Haus durch die Hintertür verlassen.
»Hier bin ich. Unter dem Baum.«
Jan Michels näherte sich ihm geduckt. Der Atem kondensierte vor seinen Lippen. Die flatternde Fahne blieb auch, als er Ole erreicht hatte.
Sie schauten sich an. Es war dunkel, zu dunkel vielleicht, aber Ole fragte trotzdem: »Fällt dir was an mir auf, Jan?«
»Ahm… nee – eigentlich nicht. Was sollte mir denn auffallen? Was ist überhaupt los?«
»Schon gut. Ich konnte nicht schlafen.«
»Ich auch nicht.«
Bevor Jan weitersprechen konnte, ergriff Ole wieder das Wort.
»Bei mir ist es etwas anders, denke ich.«
»Was macht dich so sicher.«
»Es ist die Hitze.«
Jan schaute seinen Freund an. »Dann glaubst du es jetzt, daß ich dich…«
»Ja, ja, ja, ich glaube dir alles. Aber ich bin am Ende. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe ein irres Fieber in mir. Aber ich fühle mich nicht wie ein Fieberkranker. Ich hätte ja schon tot sein müssen. Bin es aber nicht. Dafür laufe ich als lebende Brandbombe durch die Gegend. Scheiße, kannst du dir das vorstellen?«
»Nein, nicht so richtig.«
»Aber das ist so.«
»Und jetzt?«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe mich selbst im Spiegel gesehen, und da ist mir auch meine veränderte Haut aufgefallen. Sie ist so rot und anders.«
Michels nickte. »Klar, du siehst schon komisch aus. Das sehe ich sogar in der Dunkelheit.«
»Wie komisch denn?«
»Na ja, dunkler vielleicht. Nicht so hell wie ich.«
»Stimmt, dunkler. Immer nur dunkler. Wie das rote Feuer, verflucht.«
»Das war das Feuer, Ole.«
Gatz gab keine Antwort. Er senkte den Kopf und schaute auf den Boden. Er fühlte sich enttäuscht von seinem Freund. Er hatte gedacht, von Jan einen Rat zu bekommen, aber sein Freund wußte auch nicht, was er tun sollte.
»Ich werde verbrennen, Jan. Ich werde zu Asche werden. Wenn nicht heute, dann morgen.«
»Nein, so darfst du nicht denken.«
»Aber du hast das Feuer und auch das brennende Gesicht selbst gesehen, verflucht.«
»Stimmt.«
»Wir müssen wieder hin, Jan!«
»Was? Wohin?«
»Zu dem Biikenhaufen. Laß uns gehen. So schnell wie möglich. Noch in dieser Nacht.«
»Was willst du da?«
»Zerhauen, zerstören. Wir hacken alles auseinander. Die Stelle muß zerstört werden. Wir nehmen uns Spaten und Sägen mit. Da darf morgen oder schon heute kein Feuer brennen.«
»Quatsch.«
»Dann mache ich es allein!«
Jan Michels erschrak. Er wußte, daß es gefährlich war. »Nein, das tust du nicht.« Er ging noch näher an Ole heran, umfaßte seine Hand – und schrie auf.
Ole sah Jan vor sich. Er stand da, wie von einem Stromstoß erfaßt.
In dieser Haltung hielt ihn eine fremde Macht, und auch Ole spürte, wie etwas von ihm ausging und seinen Freund erwischte.
Jan sank in die Knie. »Nein, Ole, nein, nicht. Laß mich los, bitte!«
Jedes Wort war mit einem Keuchen unterlegt. Jan konnte nicht mehr. Aus seiner knienden Haltung schaute er den Freund bittend an.
Ole ließ ihn los.
Er glaubte, es Zischen gehört zu haben. Das Geräusch wurde von einem tiefen Stöhnen abgelöst,
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