1098 - Das brennende Gesicht
ist…«
»Ich weiß, mein Junge, wir haben verloren. Das Kreuz war doch schwächer, als ich dachte. Ich kann es mir nicht erklären. Ich hätte damit nie gerechnet.«
»Es war der Dämon.«
»Oder der Teufel.«
»Oder beides.«
Der Pastor nickte. Er legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter, und Jan fragte: »Was sollen wir denn jetzt tun?«
»Im Moment bin ich ratlos. Wir können nichts tun, glaube ich.«
»Und die Polizei?«
»Würde man uns dort glauben?«
»Kaum.«
»Wichtig ist, daß wir deinem Freund helfen. Dazu müßten wir ihn erst finden, und ich bezweifle, daß es mitten in der Nacht noch geschieht. Ich kann mir vorstellen, daß er sich verstecken wird. Aber wir werden ihn dann zu Gesicht bekommen, wenn die Feuer brennen, da bin ich mir sicher. So lange hat der Pirat mit dem brennenden Gesicht auf seine Rache gewartet, doch nun hat er zugeschlagen. Der Plan des Satans ist voll aufgegangen.«
Jan hielt sich mit einer Bemerkung zurück. Er wußte nicht, was er seinem Vater noch sagen sollte. Auch mit der Mutter mußte er darüber reden. Sie würde erst morgen Mittag wieder eintreffen, denn sie war auf dem Festland, um dort einige Besorgungen zu machen.
Die Nacht verbrachte sie in Flensburg bei Verwandten.
Die beiden gingen ins Haus. Der Pastor schloß die Tür. Er hatte in der letzten Zeit nicht gesprochen, war auch jetzt noch stumm und sehr bleich.
»Kannst du wirklich nichts für Ole tun, Vater?«
»Im Augenblick nicht. Die andere Seite ist so stark, mein Junge. In deinem Freund steckt ein Dämon.«
Jan nickte.
Sein Vater versuchte es mit einem Lächeln. »Schlafen werde ich nicht können. Ich setze mich in mein Arbeitszimmer und gehe noch einmal die alten Kirchenbücher durch. Es kann sein, daß dort etwas darüber geschrieben steht, wie man diesen Teufel stoppen kann. Das Kreuz scheint ja wohl zu schwach zu sein.«
»Meinst du denn, daß er heute abend wieder zuschlagen wird?«
»Ja, das ist seine Zeit. Die Zeit der Feuer, und ich befürchte, daß es diesmal schrecklich werden wird…«
***
Jan Michels war hoch in sein Zimmer gegangen. Dazu gehörte ein Minibad. Dort hatte er sich seine Wunde nicht nur angeschaut, er hatte sie auch ausgewaschen. Mit seinem Vater hatte er nicht mehr darüber gesprochen. Der war zu sehr mit anderen Problemen beschäftigt gewesen, und Jan hatte ihn dabei auch nicht stören wollen.
Im hellen Schein der Leuchtstofflampe schaute er sich seine linke Handfläche an. Obwohl er die Wunde und deren Umgebung gesäubert hatte, war sie noch immer vorhanden. Sie hatte sich nageltief in das Fleisch hineingegraben und besaß eine runde Form. Als wäre dort ein Farbtropfen geplatzt.
Sie blutete nicht mehr. Sie sah rot bis braun aus. Der Schmerz ließ sich ertragen. Leider fand der Junge kein Pflaster hier oben. Nach unten in das Bad seiner Eltern wollte er auch nicht gehen, und so ließ er die Wunde wie sie war.
Er wusch sich noch das Gesicht, dann dachte er daran, sich hinzulegen.
Schlaf würde er keinen finden, das stand fest. Er zog sich nicht einmal aus. Die Hose und den Pullover behielt er an, und er lag mit offenen Augen auf seinem Bett.
Jan konnte es nicht fassen. Innerhalb so kurzer Zeit hatte sich sein unbeschwertes Leben verändert. Es war praktisch auf den Kopf gestellt worden. Man hatte ihn mit Dingen konfrontiert, über die er früher nur gelacht hätte. Er hätte auch nicht geglaubt, daß es so etwas gab, doch nun hatte er den Beweis bekommen. Durch Ole, durch seine Berührung. Immer wieder kehrte die Szene zurück, wie auch die andere, als Ole das Kreuz angefaßt hatte, das plötzlich zu brennen begonnen hatte, so daß er geflüchtet war.
Wer war stärker als das Kreuz, auf das Jans Vater so stark vertraute? Der Pirat. Das brennende Gesicht. Wazlaw mit Namen.
Sein Vater wußte Bescheid. Er war es. Er war auch nicht tot, obwohl man ihn damals verbrannt hatte.
Wie konnte jemand zurückkehren? Bisher hatte er so etwas nur in Märchen oder gruseligen Geschichten gehört. Wo hielt man sich so lange auf? Konnte man denn die Welt der Toten verlassen? Jan war davon überzeugt, daß sich Wazlaw dort aufgehalten hatte.
Aus dem Jenseits zurück. Es gab Leute, die daran glaubten, daß dies möglich war. Sie hatten sogar Bücher darüber geschrieben, aber das waren andere Geschichten als die, die Jan hier erlebt hatte.
Es ging ihm nicht gut. Aber Ole Gatz würde es viel schlechter gehen. Er hätte gern gewußt, wo sich sein Freund jetzt aufhielt. Es war
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