1098 - Das brennende Gesicht
loderte, und deshalb hatte die Haut diesen roten Farbton bekommen.
Ich bin ein Monster! schoß es ihm durch den Kopf. Ich bin zu einem Monster geworden!
Er wollte nicht mehr weiter denken. Die Tür rammte er zu. Lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Das tat jemand, der nicht wollte, daß sein schlimmes Bild oder Etwas den Schrank verließ.
Sein Atem ging keuchend. Bei jedem Stoß glaubte er, heiße Luft auszuatmen. Es hätte ihn nicht gewundert, in seinen Augen Feuerräder tanzen zu sehen. Mittlerweile hielt er alles für möglich, und selbst seine Kopfhaut glühte. Trotz der Panik fand er noch die Nerven und auch die Ruhe, das Haus leise zu verlassen. Seine Eltern sollten auf keinen Fall etwas hören. Er wollte sie nicht mit seinen Problemen belasten. Außerdem hatte seine Mutter immer einen Blick für gewisse Dinge. Die konnte schon in seine Seele hineinschauen.
Ole nahm die Jacke mit, zog sie aber nicht an, als er das Haus verließ. Seine Eltern waren nicht erwacht. Mehr stolpernd als gehend erreicht er den Fiat.
Zwei Flaschen Bier hatte er getrunken. Nüchtern war er trotzdem. Das Bier schien in seinem Körper durch die Hitze verdampft zu sein. Nachwirkungen spürte er keine.
Die Jacke warf er auf den Beifahrersitz. Natürlich würde seine Mutter erwachen, wenn sie den Motor des Autos hörte. Daran dachte Ole nicht. Er hatte jetzt ein anderes Ziel. Egal, wie spät es war. Er mußte zu seinem Freund Jan Michels. Vielleicht konnte er ihm helfen. Oder auch dessen Vater, der war schließlich Pastor.
Biikenfeuer sollten reinigen. Sie sollten auch die bösen Geister des Winters vertreiben. So stand es in den Überlieferungen aus heidnischer Zeit. Bei ihm war das Gegenteil eingetreten. Da hatte das Feuer nicht gereinigt, und Ole kam sich vor wie jemand, der sehr langsam zerstört wurde. Stück für Stück nahm man ihm das Menschsein. Man brannte ihn von innen aus, bis schließlich der gesamte Körper erfaßt wurde, so daß nur noch ein Häuflein Asche von ihm zurückblieb.
Diese Gedanken trugen zu einer noch stärkeren Panik bei ihm bei. Er fuhr schnell durch den wie ausgestorben wirkenden Ort Keitum. Die Straßen waren geräumt worden; dort lag keine geschlossene Schneedecke. Im Gegensatz zu den Wiesen, den Dünen und auch den Hausdächern aus Reet. Dort hatte der Schnee dieses dicke, weiße und in der Dunkelheit leicht bläulich schimmernde Leichentuch hinterlassen.
Es war zu hören, wie er durch Keitum preschte. Kein Beachten der Verkehrsregeln. Sein Wagen zerriß die Stille, und am Ortsende fuhr er nicht geradeaus in Richtung Westerland, sondern bog nach rechts ab. Die Straße führte leicht bergan, an der Kirche vorbei und weiter nach Munkmarsch und nach Kampen.
Ole Gatz glühte noch immer. An keiner Stelle seines Körpers war diese Veränderung zurückgegangen. Mit beiden Händen hielt der junge Mann das Lenkrad fest. Er mochte es sich einbilden, aber es kam ihm weich vor. Er befürchtete, daß es unter seinen Händen wegschmolz und er sowieso durch seine Hitze den gesamten Wagen in Brand steckte, um dann als flammendes Fanal in die Dünen an der Wattseite hineinzurasen.
Er riß sich zusammen. Obwohl er schwitzte, schlugen seine Zähne aufeinander. Oles Gesicht hatte einen völlig anderen Ausdruck bekommen. Es war nichts mehr von Lockerheit darin zu sehen. Es wirkte jetzt verzerrt, wie in die Breite gezogen.
Die Michels wohnten nicht weit von der Kirche entfernt. Ole konnte auf der Straße bleiben. Nach dem kleinen Friedhof mußte er weiter in Richtung Munkmarsch fahren. Am Ortseingang standen einige Häuser. In einem davon lebte der Pastor mit seiner Frau und seinem Sohn.
Ole fuhr noch immer schnell. Einmal kam ihm ein Wagen entgegen. Die Scheinwerfer sah er wie zwei Sonnen, die ihn blenden wollten. Er zog seinen kleinen Fiat gerade noch nach rechts, sonst wäre es knapp geworden.
Munkmarsch – endlich.
Er stieg auf die Bremse, weil er fast den kleinen Weg verpaßt hätte, der zum Haus der Michels führte. Mit schlitternden Reifen rutschte der Wagen von der Straße weg und in den mit Schotter belegten Weg hinein.
Ole Gatz bremste. Er schaltete die Scheinwerfer aus. Das Auto stand am Rand. Es war Platz genug, um einen anderen Wagen vorbeifahren zu lassen. Er stieg aus.
Die kalte Luft erfreute ihn. Aber sie linderte das Brennen nicht.
Wieder legte er eine Hand gegen seine Wange und mußte feststellen, daß die Hitze im Innern gleich geblieben war.
Die Michels wohnten im ersten Haus der Gruppe. Es
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