1098 - Das brennende Gesicht
Pastor ging auf den Ole zu, blieb allerdings in sicherer Entfernung stehen. »Die Menschen heute haben es verlernt, an den Teufel oder an das Böse zu glauben. Sie wollen einfach nicht akzeptieren, daß es ihn in der einen oder anderen Form gibt. Das ist nun mal so. Wo Licht ist, da lauert auch der Schatten. Wie immer man den Teufel sehen mag, ob altertümlich als bocksfüßiger Geselle oder modern als aalglatter Verführer, er ist da, man kann ihn nicht wegdiskutieren, denn er ist die andere Seite der menschlichen Seele. Aber er ist auch besiegt worden, durch Jesus Christus, der für uns am Kreuz starb. Genau das gibt uns Menschen immer wieder die Kraft, ihm zu widerstehen.«
»Ja, Worte, Herr Michels, nur Worte.«
»Man muß sie in die Tat umsetzen. Das hat uns der Herrgott mit auf den Weg gegeben.«
»Das ist bei mir nicht so.«
»Doch, glaube es mir. Und ich werde es dir auch beweisen. Immer wieder, Tag für Tag und Nacht für Nacht müssen wir Menschen uns anstrengen, um das Böse in uns zu besiegen. Manchmal gelingt es uns, manchmal nicht. Und daß es uns gelingt, das können wir beschleunigen durch das Zeichen des Sieges.«
»Eine Waffe?«
»Nein und ja. Das Kreuz ist alles…«
Ole schüttelte den Kopf. »Was soll das? Was habe ich mit dem Kreuz zu tun?«
»Jeder hat etwas damit zu tun. Aber du wirst es gleich erleben. Ich möchte, daß du dich auf das Kreuz verläßt, mein Sohn.« Peter Michels griff in die Innentasche seiner Jacke und holte ein schlichtes braunes Holzkreuz hervor. Er hielt es Ole entgegen. »Das ist das Zeichen. Ihm sollten wir vertrauen.«
»Was muß ich damit machen?«
»Du wirst es anfassen. Wir werden dann gemeinsam beten. Wir müssen die höllische Hitze aus deinem Körper vertreiben. Das Kreuz wird die Kraft haben, glaube mir.«
Ole Gatz lachte. Es klang scharf und rauh. »Das ist doch alles Mumpitz, verdammt! Das glauben ich einfach nicht. So etwas gibt es nicht. Wie im Kino.«
»Hättest du denn vor einigen Stunden gedacht, daß du dich so verändern könntest?«
»Nein«, gab Ole kleinlaut zu.
»Eben.«
»Was sagst du denn, Jan?«
»Tu, was mein Vater dir geraten hat. Er weiß es bestimmt besser. Tu es.«
Ole war sich nicht sicher. Er wußte nicht so recht, wohin er schauen sollte. Um sie herum war es ruhig. Die Natur schlief unter einem Schleier von Kälte. Der Frost hatte den Boden hart werden lassen, und auch jetzt wehte so gut wie kein Windhauch über die Insel hinweg.
»Du willst doch wieder so werden wie früher, Ole. Deshalb nimm meinen Ratschlag an.«
»Mach schon!« drängte auch Jan.
Ole schaute auf das Kreuz. Er brauchte nur noch seine Hand auszustrecken, dann konnte er es greifen.
Er zögerte…
»Bitte«, sagte Peter Michels.
»Gut, ja, ich mache es.«
Ole Gatz griff zu.
Im nächsten Augenblick wurde alles anders!
***
Vater und Sohn schauten zu, wie Ole Gatz das Holzkreuz umklammerte. Er hatte es richtig festgehalten, aber was alle erhofft hatten, trat nicht ein.
Dafür geschah etwas anderes.
Für einen Moment schien Ole Gatz selbst in Flammen zu stehen.
Sein Körper glühte von innen her auf. Er war ein rotleuchtendes Fanal, er wurde durch die Hitze nachgezeichnet, aber wirklich nur für den Augenblick, denn dann bewegte sich diese Hitze weiter. Und auch hinein in seine rechte Hand.
Das Kreuz fing Feuer.
Plötzlich schlugen die Flammen hervor, und es brannte wie in den Südstaaten der USA die mächtigen Kreuze des Ku-Klux-Klan.
Ole hatte seinen Arm in die Höhe gerissen. Er hielt das brennende Kreuz fest, er lachte und kümmerte sich nicht um die entsetzten Rufe der beiden Zuschauer.
Das Lachen blieb, aber es veränderte sich. Es wurde böse und drohend, bevor er sich mit einer heftigen Bewegung wegdrehte und einfach losrannte.
Er lief mit langen Schritten quer durch den Garten des Pfarrers.
Er schrie dabei. Er schwenkte seinen Arm. Er hielt das Kreuz noch in der Hand, das sich besonders scharf gegen die Dunkelheit hin abzeichnete. Die Michels riefen ihm noch etwas nach, aber Ole hörte nicht. Er hatte das Grundstück längst verlassen und rannte den Weg entlang, zur normalen Straße hin. Das Kreuz leuchtete nicht mehr. Wahrscheinlich war es längst zu Asche geworden.
Peter Michels, der sich bisher so gut gehalten hatte, schwankte leicht. In der letzten Minute war für ihn eine Welt zusammengebrochen. Er hatte fest daran geglaubt, Ole retten zu können, doch das, was in ihm steckte, war stärker gewesen.
»Vater, das
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