1098 - Das brennende Gesicht
sinnlos, nach ihm zu suchen. Zu sich nach Hause war er bestimmt nicht gefahren.
Der Stich oder das plötzliche Brennen erwischte ihn mitten auf der linken Handfläche. Er krampfte die Hand zusammen und richtete sich in seinem Bett auf.
Es brannte noch Licht, weil Jan sich vor der Dunkelheit fürchtete.
Aber es war nicht so hell, und das kam ihm entgegen. So konnte er das sehen, was sich auf seiner Handfläche abspielte, und er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können.
Die Stiche waren geblieben. Sie hatten sich nur verändert, und er spürte jetzt das Brennen genau dort, wo sich die Wunde auf der Handfläche abzeichnete. In der letzten Zeit hatte es nachgelassen.
Nun war es zurückgekehrt. Allerdings viel intensiver und auch schmerzhafter. Zugleich hatte sich dort etwas hervorgebildet. Innerhalb der Wunde gab es ein gewisses Leben, denn dort verschoben sich die Dinge, so daß Jan plötzlich das Gesicht sah.
Das des Piraten!
Er erschrak. Etwas schoß als heiße Welle durch seinen Körper.
Zugleich kämpfte er gegen den Schwindel an und klammerte sich mit der rechten Hand an der Bettkante fest.
Wie im Feuer.
Das gleiche Gesicht.
Die bösen Augen, die dunklen Haare, der schwarze Bart, der Mund mit den widerlichen Lippen, der sich jetzt zu einem breiten Grinsen verzogen hatte.
»Jetzt gehörst du zu mir«, flüsterte eine rauhe Stimme, die aus der Hand kommen mußte, aber überall vorhanden war. »Du bist in meiner Gewalt. So habe ich es gewollt. Und ich werde mir auch noch andere holen, das kann ich dir versprechen. Damals hat man mich reingelegt. Das wird nicht mehr passieren. Ich lasse mich weder von Menschen noch von Pfaffen fertigmachen. Ihr habt mir und meiner Mannschaft so viel versprochen. Bekommen haben wir den Tod. Wie die Katzen und Hunde wurden meine Freund erschlagen, und mich hat man verbrannt wie eine Hexe. Auch ich verspreche euch etwas. Aber ich werde mein Versprechen halten. Beim Biikenbrennen werden nicht nur Holzhaufen lodern, darauf könnt ihr euch verlassen. Auch du wirst brennen. Ole wird brennen. Dein Vater, der Pfaffe, wird brennen. Alle werden brennen, alle!« Ein letztes rauhes Lachen folgte, dann war nichts mehr zu hören.
Jan hatte alles mitbekommen, aber nicht gewagt, sich zu bewegen. Erst nach langen Sekunden erwachte er aus seiner Lethargie und holte tief Luft. Was er hier erlebt hatte, war ihm vorgekommen wie ein grauenvoller Traum, doch er brauchte nur auf seine linke Handfläche zu schauen, um zu erkennen, daß dieser Traum eine gelebte Wirklichkeit war.
Die Wunde sah aus wie immer. Kein Gesicht, auch keine Stimme.
Alles wie gehabt.
Jan schluchzte auf. Er brauchte einfach ein Ventil, und er schlug mit der flachen Hand auf die Matratze. Immer und immer wieder.
Dabei drangen Tränen aus seinen Augen, er weinte, er fluchte und vergrub sein Gesicht schließlich im Kopfkissen.
Nach unten zu seinem Vater ging er nicht. Es reichte ihm, daß er angesteckt worden war und fürchtete, den schrecklichen Makel nie mehr loszuwerden…
***
Bei mir hatte es perfekt geklappt. Der Flug war pünktlich gewesen, und in Hamburg hatte ich auch meinen Zug bekommen, der mich über den Damm auf die Insel brachte.
In Westerland verließ ich den Zug und war erstaunt über den neuen Bahnhof. Man hatte ihn umgebaut. So gab es auf dem Bahnsteig jetzt eine transparente Überdachung, die einen guten Regenschutz bildete. Mit meinem kleinen Koffer ging ich schräg über den Bahnhofsvorplatz und zu einer Tankstelle hin, die auch ein Autoverleih war. Ich entschied mich für einen schwarzen VW-Polo und erledigte innerhalb weniger Minuten die Formalitäten.
Danach nahm ich den Schlüssel entgegen, stieg ein und fuhr los.
Eine Karte brauchte ich nicht. Es war nicht mein erster Besuch auf der Insel, ich mußte mich nur an die neue Straßenführung in Westerland gewöhnen, aber das war kein Problem. Schon bald rollte ich aus dem Ort und über die breite Straße in Richtung Keitum.
Ein herrlicher Wintertag begrüßte mich. Überall lag Schnee. Zum Glück nicht auf den Straßen, und der hohe Himmel über mir zeigte ein Blau, das kaum zu beschreiben war. Es war sehr intensiv, doch durch die Sonneneinstrahlung auch zugleich licht geworden. Ein herrliches Bild, das Gedanken von Freiheit, Weite und auch Ferne aufkommen ließ.
Für das Biikenbrennen wurde Reklame gemacht. Überall las ich davon. Es wurde auch auf das Biikenessen hingewiesen. Grünkohl mit Pinkel und Fleisch.
Es war kaum vorstellbar, daß
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