1098 - Das brennende Gesicht
sie ihre Mutter, Anja Claasen.
Wir kannten uns, dementsprechend herzlich fiel die Begrüßung aus. Anja war eine nette Frau, die es immer wieder durch ihr Geschick verstand, dem Innenleben des Hauses einen besonderen Touch zu geben. Da wechselten die Bilder an den Flurwänden, und auf den breiten Fensterbänken standen diesmal die verschiedene Leuchttürme, die zum Verkauf angeboten wurden. Sie wußte bereits, daß ich mich im Haus aufhielt, und natürlich wechselten wir einige Worte. Zu einem längeren Gespräch kam es nicht, weil die kleine Tochter unbedingt ihrer Mutter etwas zeigen wollte und immer wieder an ihrem Rock zupfte.
Wir würden uns später sowieso noch sehen, und ich wollte hoch auf mein Zimmer. Bis zum Einbruch der Dunkelheit war es nicht weit. Ich wollte als einer der ersten Gäste beim Biikenbrennen sein.
Eine warme Dusche würde mir guttun.
Die dunkelhaarige Frau, die mir bei meinem Eintritt aufgefallen war, hielt sich noch immer in der Nähe auf. Sie hatte sich einige Zeitungen geholt und ging mit mir zusammen die Treppe hoch, da ihr Zimmer ebenfalls oben lag.
»Freuen Sie sich schon auf das Brennen?« fragte die Frau.
»Bestimmt.«
»Ich auch«, sagte sie lachend. »Ich erlebe es bereits zum achtenmal. Es ist herrlich, ein paar Tage vorher hier zu sein, um sich so richtig vorbereiten zu können. Was ist mit Ihnen? Sehen Sie das Biikenbrennen zum erstenmal?«
»Ja.« Ich wollte noch mehr antworten, aber es kam nicht dazu, weil mir ein bestimmter Anblick die Sprache verschlagen hatte.
Am Ende der Treppe stand jemand.
Es war Ole Gatz!
***
Auch ich blieb stehen, denn ein Blick in sein Gesicht hatte mir gereicht. Es zeigte einen bösen, kalten und auch verzerrten Ausdruck.
Zudem paßte mir seine Haltung nicht. Er hatte sich breitbeinig wie ein Westernheld aufgebaut, als wartete er jeden Augenblick darauf, daß ich eine Waffe ziehen würde.
Die dunkelhaarige Frau wollte weiter nach oben gehen, doch ich hielt sie am Arm fest. »Bleiben Sie bitte zurück.«
»Warum?«
»Fragen Sie nicht!« Sie ging die drei Stufen wieder nach unten.
Jetzt standen wir uns allein gegenüber. Ich ging hoch. Meine Hand rutschte in die rechte Tasche. Sie umfaßte das Kreuz, das ich noch nicht hervorholte. Ich wollte zunächst wissen, weshalb Ole hier auf mich gewartet hatte. Außerdem paßte es mir nicht, wenn es gerade hier im Hotel zu einer Eskalation kam.
Er stand noch immer auf dem gleichen Platz. Er ließ mich eine Stufe auf ihn zugehen, dann reagierte er. Es sah so aus, als würde er explodieren. Zumindest sein Kopf und sein Gesicht. Beides war innerhalb einer Sekunde zu einer pechschwarzen Rauchwolke verschwunden. In der Mitte entstand plötzlich eine Flamme. Ich starrte auf einen weit geöffneten Mund, schon mehr ein Maul, und plötzlich schoß Feuer daraus hervor. Die Flamme tanzte hoch bis zur Decke, wurde nach vorn geweht und huschte mit einem Fauchlaut auf mich zu.
Ich hatte mich geduckt und kniete auf der Stufe wie auf einer Kirchenbank. Die Flamme hätte mich trotzdem getroffen, wenn nicht mein Kreuz dagewesen wäre.
Ich hielt es als Schutz hoch, und die Flamme bog sich der Decke entgegen. Ein wütender Schrei klang auf, dann hörte ich dumpfe Schritte auf dem Gang und wußte, daß sich Ole aus dem Staub machen wollte.
Ich mußte ihm nach.
Es blieb bei dem Versuch, denn jetzt war es die dunkelhaarige Frau, die mich festhielt. »Was war das denn?« rief sie. »Mein Gott, was hat da gebrannt?«
»Laufen Sie weg!«
»Nein, ich will das wissen.«
Sie ließ mich einfach nicht los. Ich drehte mich und sah ihr zitterndes Gesicht. Die Zeitungen hatte sie fallen gelassen, die Angst schimmerte in ihren Augen. Ihre laute Stimme hatte auch Claas Claasen alarmiert, der aus seinem Büro hinter der Rezeption geeilt war und plötzlich bei uns stand. Natürlich wollte er wissen, was geschehen war. Auch andere Gäste waren von dem Lärm angelockt worden.
Wir verstanden uns mit Blicken. »Bitte, Herr Claasen, kümmern Sie sich um den Gast.«
»Mach ich.«
Er zog die Frau von mir fort und sprach mit sanfter Stimme auf sie ein. Claas Claasen besaß viel Einfühlungsvermögen, um Gäste beruhigen zu können.
Ich stürmte die Treppe hoch, wischte nach links, sah den Flur leer, aber auch das offene Fenster an seinem Ende. Es war ein idealer Fluchtweg.
Woher das weiß gekleidete Zimmermädchen kam, wußte ich nicht. Ich hörte nur seinen Schrei, dann war ich wie ein Phantom an ihm vorbei und erreichte wenig
Weitere Kostenlose Bücher