1098 - Das brennende Gesicht
bei uns und starrte ins Leere. Manchmal wischte sie über ihre Augen oder sprach leise den Namen ihres Sohnes aus.
Peter Michels konnte nichts so leicht erschüttern. Es mochte auch an seinem Beruf liegen, allerdings brauchte er noch einen zweiten Schluck und schüttelte immer wieder den Kopf.
Heike trank Wasser und sagte schließlich, während sie uns aus rot geweinten Augen anschaute: »Ich kann es nicht fassen. Ich weiß nicht, was in Jan gefahren ist.«
»Und auch in seinen Freund«, sagte ich.
»Ja, die beiden haben uns überfallen. Jan ist unser Sohn. Stellen Sie sich das mal vor.«
»Das ist schlimm, ich weiß es«, sagte ich, »trotzdem sollten Sie mit den beiden nicht zu hart ins Gericht gehen, Frau Michels.«
Das konnte der Pastor nicht begreifen. »Na hören Sie mal, Herr Sinclair. Sie kommen hier als Fremder her und tun so, als würden Sie unsere Familienangelegenheiten kennen.«
»Ich kenne sie nicht. Aber mir sind einige Hintergründe bekannt. Leider nicht alle. Deshalb bin ich auch auf die Insel gekommen. Man hat mir den Tip gegeben, mich an Sie zu wenden, Herr Michels.«
Der Geistliche kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Welche Hintergründe meinen Sie denn?«
»Kennen Sie einen Mann namens Paul Pucheim?«
Er brauchte nicht lange zu überlegen.
»Ja, denn kenne ich. Der war einige Male bei mir. Wieso? Was ist mit ihm?«
»Er lebt nicht mehr.«
»Bitte?«
»Ja, er ist tot. Er starb in London, und ich bin dabeigewesen, als er mit die Geschichte erzählte.«
Der Schnaps hatte das Gesicht des Mannes gerötet gehabt. Jetzt wurde es wieder blaß. »Aber er war gesund, meine ich…«
»Er starb auf eine unnormale Art und Weise, denn er verbrannte von innen.«
Der Pastor sagte nichts. Er zitterte nur. Diesmal war Heike Michels besser auf Draht. »Moment mal, Herr Sinclair. Das ist unnatürlich. Ich habe die ganze Zeit überlegt. Sie waren schon mal auf der Insel. Da ging es um den Maler Boris Beckmann.«
»Richtig.«
»Da war auch das Monster.«
»Richtig.«
»Gott, und jetzt schon wieder.« Sie schloß die Augen. »Ja, John Sinclair. Sie haben bei den Claasens im Deich-Hotel gewohnt. Das mußt du noch wissen, Peter. Hier ist doch wochenlang davon gesprochen worden. Sogar jetzt reden die Leute hin und wieder darüber.«
»Ich erinnere mich«, flüsterte der Pastor und fuhr fort: »Da Sie jetzt wieder bei uns sind, müssen wir damit rechnen, daß wieder etwas geschehen wird?«
Ich nickte. »Es gibt etwas, das in diese Richtung deutet.«
»Wieder ein Monster?«
»Nein, ein alter Fluch. Er steht im Zusammenhang mit dem Biikenbrennen, und Ihr Sohn sowie sein Freund sind leider auf dieses makabre Karussell aufgestiegen.«
Der Pastor senkte den Kopf und strich über sein Gesicht. »Das kann doch nicht wahr sein! Ausgerechnet jetzt. Schon wieder, und diesmal hat es unseren Jan erwischt.«
»Es könnte sein, daß dies nicht grundlos geschehen ist«, gab ich zu bedenken.
Heike Michels holte tief Luft. »Das müssen Sie uns erklären, Herr Sinclair. Ich habe daraus eine Verdächtigung…«
»Bitte, Frau Michels, behalten Sie jetzt die Nerven. Noch ist nichts verloren. Ich hoffe, daß wir es schaffen, die beiden zu retten. Zunächst einmal müssen wir sie laufen lassen.«
»Worum geht es jetzt genau?« fragte der Pastor und brachte die Sache auf den Punkt.
»Gut gefragt, und ich denke, daß Sie mir dabei eine große Hilfe sein können.«
»Dann versuchen Sie es.«
»Kramen Sie tief in den Schubladen der Geschichte herum. Sagt ihnen der Name Wazlaw etwas?«
Peter Michels schloß die Augen. »Sicher«, flüsterte er, »der Name sagt mir etwas. Vor nicht langer Zeit habe ich mit Paul Pucheim darüber gesprochen. Wazlaw war ein Pirat, der Sylt überfallen und die Menschen hier unter seine Knute bringen wollte. Die Männer töten, die Frauen verschleppen, so war es damals üblich, aber unsere Vorfahren haben ihn davon abhalten können.«
»Indem man ihm und seinen Männern Gold und andere Wertgegenstände versprach. War es nicht so?«
»Ja, Sie haben recht.«
»Man hat ihn mit seinen Männern auf die Insel gelockt. Man hatte die Biikenfeuer angezündet. Sie waren das Zeichen, daß alles okay war. Die Männer kamen auch und waren so stark auf Beute bedacht, daß sie Vorsicht außer acht ließen. Wie ich höre, hat man sie bis auf einen erschlagen.«
»So berichten es die alten Chroniken«, stimmte mir der Pastor leise zu. »Die Menschen hier wollten sich nicht mehr terrorisieren und
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