1098 - Das brennende Gesicht
entdeckt wurde, wenn ich auf den Haufen zulief, vor dem die Zuschauer nicht mehr so dicht standen. Irgendwie fürchteten sie sich vor dem Feuer. Auch die beiden Männer, die es angezündet hatten, waren weit zurückgewichen. Ich konnte sehen, wie sie miteinander sprachen und auch den Kopf schüttelten, denn so etwas hatten sie noch nie erlebt.
Dann schrie eine Frau.
Zuerst nur so, als wollte sie alle anderen auf sich aufmerksam machen. Danach formulierte sie ihren Schrei in Worte um, und ein jeder verstand sie.
»Ein Gesicht!« brüllte sie. »Da ist ein Gesicht! Im Feuer ist das Gesicht! In den Flammen…«
Die Frau wollte nicht mehr hinsehen. Sie drehte sich um und warf sich in die Arme ihres Begleiters. Die anderen Zuschauer waren stumm. Sie starrten auf die Flammen, deren Widerschein sich auf ihren Gesichtern festgesetzt hatte und sie ungewöhnlich verzerrte. Trotzdem malte sich die Angst darin ab, die sie durchlitten. Das Gesicht in den Flammen mußte ihnen wie ein monströses und nicht erklärbares Horrorwesen vorgekommen sein.
Ich sah es noch nicht, weil ich mich an der falschen Seite befand.
Erst als ich den Graben übersprungen hatte, war mir klar, was die Menschen so erschreckt hatte.
Zum erstenmal sah auch ich Wazlaw, den Piraten!
***
Es war kein Mensch. Er war nicht aus Fleisch und Blut. Er war ein Geist, aber er hatte sein menschliches Aussehen behalten, zumindest was sein Gesicht anging.
Es war ein böses, ein finsteres Gesicht. Die Augenklappe fehlte, trotzdem sah der Pirat wild und unnachgiebig aus. Sein dunkler Bart, die schwarzen Haare, die ebenfalls dunklen Augen, der böse Blick, für den Menschen nur Opfer waren, und das aufgerissene Maul, aus dem uns ein fürchterliches Lachen entgegenwehte, das erst sehr spät endete und in eine Erklärung überging.
Ich verstand nur die Hälfte. Aus den heißen Flammen wehten mir die Fragmente entgegen. Ich fand heraus, daß Wazlaw endlich seine Rache vollenden wollte.
»In die Hölle!« brüllte er. »In die Hölle nehme ich euch mit! Alle, die ihr hier seid. Ihr seid die Verdammten! Ich bin mächtig! Auf meiner Seite steht die Hölle…« Seine Worte endeten wieder in einem wilden Gelächter.
Für einen Spaß oder Gag hielt keiner der Zuschauer diese Szene.
Man merkte den Menschen an, daß sie Angst hatten. Sie waren auch immer weiter zurückgewichen, und die ersten liefen bereits in wilder Hast fort vom Ort des unheimlichen Geschehens.
Ich tat es nicht.
Ich hatte mich vor dem Feuer aufgebaut, so daß ich das Gesicht von vorn sehen konnte.
Die Flammen waren da. Nach wie vor von einer schon wilden Unruhe getrieben, tanzten sie vor mir in die Höhe. Für mich waren es Arme und Zacken zugleich. Der Rauch quoll nicht mehr so dick und dicht. Es schien so zu sein, daß die Flammen ihn bewußt durch ihre Kraft vertrieben hatten, damit sie durch nichts gestört wurden.
So tanzte eine schaurige Szenerie vor mir, und das Gesicht stand darin tatsächlich wie ein starres Gemälde.
Die Hitze strahlte auch gegen mich. Ich wich etwas zurück, weil ich mir weder die Haare noch die Augenbrauen ansengen wollte.
Was die anderen Zuschauer taten, interessierte mich in diesem Augenblick nicht. Wahrscheinlich riefen sie nach mir, um mich zu warnen. Nur getraute sich keiner mich wegzuziehen.
Es war mein Kreuz, das helfen konnte. Wenn der Pirat dem Leibhaftigen gehorchte, dann mußte er es fürchten.
Hinter mir hörte ich Schreie.
Sie warnten mich, daß ich mich umdrehte. Kaum hatte ich den Flammen meinen Rücken zugedreht, da sah ich die beiden Jungen.
Für sie war das große Fest angebrochen. Endlich konnten sie dem huldigen, auf dessen Seite sie standen, und der sie zu sich geholt hatte.
Sie liefen auf dem direkten Weg den Flammen entgegen. Noch sah ich sie vor mir. Jan Michels hatte seinen linken Arm angehoben und mir die Fläche zugedreht. Auf seiner Hand leuchtete das rote Mal, die Wunde, die er sich geholt hatte. Sie flackerte und bewegte sich, und das Gesicht des Ole Gatz sah aus, als würde es selbst brennen. Feuerrot und verzerrt. Mit weit geöffneten Augen und auch mit offen stehendem Mund, aus dem sich wilde Schreie lösten.
Mir war klar, was die beiden Jungen vorhatten. Sie gehörten zu Wazlaw, dem Piraten, und sie würden ihm beweisen, wie groß ihre Zuneigung zu ihm war.
Da gab es nur eine Möglichkeit für sie. Um ganz bei dem Piraten zu sein, würden sie sich in die Flammen stürzen müssen. Ob sie verbrannten oder nicht, das stand bei
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