1098 - Das brennende Gesicht
ihnen nicht zur Debatte. Der Dämon hatte sich ihrer bemächtigt, und beide sahen so aus, als würden sie sich durch nichts und niemand aufhalten lassen.
Aber ich mußte sie stoppen.
Mir blieb nicht viel Zeit. Je näher sie dem Feuer kamen, um so schneller liefen sie. Wie Menschen, die es nicht erwarten konnten.
Hinter ihnen hörte ich einen lauten Schrei.
Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten. Es war Peter Michels, der Pastor, der das große Unglück ebenfalls hatte kommen sehen.
»Bleibt stehen!« brüllte er gegen das Tosen des Feuers an, das sich anhörte, als hätte ein Monstrum aus der Hölle ausgeatmet. »Ihr dürft das nicht tun. Er soll seine Rache nicht haben. Er ist verdammt und verflucht für immer. Die Hölle darf nicht gewinnen. Das Böse hat keinen Platz auf dieser Welt!«
Der gute Mann konnte noch so laut rufen, die Jungen hörten nicht auf ihn. Sie steckte voll unter dem Bann des Piraten Wazlaw.
Dann waren sie da.
Sie wollten mich einfach überrennen. Sie trafen keine Anstalten, mir auszuweichen. Auch ich wich ihnen nicht aus und warf mich ihnen mit meinem gesamten Körpergewicht in den Weg.
Wir prallten zusammen. Ich hatte mein Gesicht geschützt, geriet ins Stolpern, blieb aber auf den Beinen, während Ole und Jan sich plötzlich auf dem Boden wälzten und sich überschlugen. Um sie zu retten, mußte ich sie ausschalten, nicht mit einer Kugel stoppen, sondern mit gezielten Schlägen ins Reich der Bewußtlosigkeit schicken.
Jan sprang als erster hoch.
Er griff mich an wie eine Furie. Er wollte mir seine linke Hand mit dem Zeichen des Dämons ins Gesicht stoßen, und er war dabei schneller als ich gedacht hatte.
Ich fing die Hand ab, behielt das Gelenk umklammert, drehte es, und Jan mußte die Bewegung mitmachen, wollte er nicht einen Armbruch riskieren. Wieder schlug er am Boden auf.
Ole sprang mich an. Er erwischte mich am Rücken. Wahrscheinlich waren es seine Füße gewesen, die mich nach vorn schleuderte.
Diesmal blieb ich nicht auf den Beinen. Ich mußte zu Boden, aber ich stützte mich mit den Händen ab.
Sofort drehte ich mich herum.
Ole Gatz schrie in wildem Triumph auf. Er hatte geschafft, was er wollte, und der Weg für ihn war endlich frei.
»Nicht… nein …!« brüllte ich noch.
Er wollte mich nicht hören.
Aus dem Lauf heraus stieß er sich ab. Es war ein gewaltiger Sprung, der ihn nach vorn und damit auf den brennenden Biikenhaufen schleuderte.
Da gab es kein Hindernis, das ihn aufgehalten hätte. In der Luft liegend hechtete Ole Gatz auf das Feuer zu, in die Glutreste hinein, die aufgewirbelt wurden, als die Masse unter seinem Gewicht zusammenbrach. Sein Körper verschwand darin. Das Feuer hatte neue Nahrung bekommen, und noch immer tanzte das Gesicht in den Flammen. Es hatte sich verfielfältigt. Ich sah es in jeder Flammenzunge, und es bewegte sich dabei ebenso zuckend wie das Feuer.
Ole raffte sich wieder hoch.
Ich bekam ein fürchterliches Bild geboten. Der Junge brannte und glühte zugleich. Es war unmöglich, ihn aus dem Feuer zu holen, und ich wurde wieder an Paul Pucheim erinnert, wie er vor meinen Augen verbrannt war.
Auch Ole konnte ich nicht mehr helfen. Ein Angriff mit dem Kreuz wäre für ihn zu spät gekommen. Er war nur noch eine Gestalt aus Glut. Sein Gesicht zeichnete sich zwischen den flackernden Zungen schon überdeutlich ab, und in den nächsten Sekunden sah ich zu, wie es durch die teuflische Hitze zerschmolz.
Wie bei meinem Besucher in London!
Ole fiel zusammen. Das Feuer brannte ihn mit seiner immensen Hitze von innen her aus. Zuletzt sackte er als Asche wie eine zittrige Säule zusammen.
Der Pirat hatte sein erstes Opfer bekommen.
Das Gesicht tanzte im Feuer. Es brannte, aber es verging nicht. Es zeigte einen wahnsinnigen Ausdruck. In den Augen strahlte die Boshaftigkeit der tiefsten Hölle.
»Nein, laß mich los!« Der Satz setzte sich aus mehreren Schreien zusammen.
Ich fuhr herum.
Vater und Sohn kämpften gegeneinander. Der Pfarrer versuchte mit allen Mitteln, Jan zurückzuhalten, doch der Junge wehrte sich ebenso stark. Er war kräftig, er hatte seinem Vater schon ins Gesicht geschlagen und dessen Nase getroffen. Sie war deformiert. Um sie herum lagen rote Blütenblätter auf der Haut, und immer mehr Blut strömte nach. Jan riß sein Bein hoch. Der gemeine Tritt erwischte den Unterleib des Pfarrers. Er konnte seinen Sohn nicht mehr halten und brach in die Knie.
Ich hörte ihn weinen und flehen. Jan kümmerte sich nicht
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