1099 - Der Werwolf und die Tänzerin
ein wenig offenstehende Tür ins Helle schauen konnte.
Es war still in dieser waldreichen Gegend. Kein Fremder würde hier auftauchen, um mir Hilfe zu leisten und mich von den Fesseln befreien.
Als ich das Geräusch eines heranfahrenden Wagens hörte, keimte wieder Hoffnung in mir. Ich vergaß die Schmerzen an den blutenden Gelenken und konzentrierte mich auf das weitere Geschehen, das ich nur akustisch mitbekam.
Der Motor wurde abgestellt.
Dann hörte ich das Zuschlagen einer Autotür. Wenig später klangen Schritte auf, die ich dann auch im Haus hörte. Ich überlegt, wer es sein könnte, wartete voller Spannung ab und sah auch durch die Türlücke einen Schatten.
Es war nicht der Werwolf, sondern seine Geliebte. Die Tänzerin war zurückgekehrt.
Sie schien guter Laune zu sein, summte ein Lied vor sich hin und stellte etwas mit einem hörbaren Geräusch ab. Danach bewegte sich die Frau wieder und kam auf die Tür meiner Kammer zu.
Mit einem heftigen Ruck zerrte sie die Tür auf - und blieb breitbeinig auf der Schwelle stehen.
Sie schaute mich an.
Ich wich ihrem Blick nicht aus. Es fiel genügend Licht in den Raum, um auch ihr Gesicht sehen zu können, das sich zu einem Lächeln verzogen hatte. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt eine enge Hose aus Leder und einen braunen Pullover. Das Haar trug sie offen bis auf die Schultern.
»Wie geht es dir?«
»Och… ich fühle mich sauwohl.«
»Kann ich mir denken«, erklärte sie lachend, um dann das Thema zu wechseln. »Carl ist gegangen?«
»Ja, ich hatte das Vergnügen, ihn in seiner anderen Lebensform kennenzulernen«
»Oh, sehr schön. Aber das wird er nicht lange bleiben. Sobald die Dämmerung einsetzt und sich der Mond am Himmel abzeichnet, sei er auch noch so blaß, setzt die Verwandlung ein. Ich habe ihm schon gesagt, daß er sich auf dich freuen kann.«
»Soll er mich dann töten?«
Madeleine drehte sich ein wenig, bevor sie antwortete. Jetzt sah ich, daß sie an der rechten Seite die Beretta im Gürtel stecken hatte. »Das könnte ich eigentlich ihm überlassen, aber ich habe ihm geraten, es nicht zu tun.«
»Sondern?«
Sie lachte mich breit an. »Es wäre doch mal etwas Außergewöhnliches, wenn beim Yard ein Werwolf beschäftigt ist. Tagsüber ein normaler Bulle und in den Vollmondnächten - na, du weißt schon.«
»Stimmt. Das hatten wir noch nie.«
»Und ich freue mich auf die Premiere.« Sie wollte sich wieder umdrehen und gehen, doch mein Ruf hielt sie zurück.
»Ja, was ist denn?«
»Noch bin ich Mensch. Ich denke, dir brauche ich nicht erst zu sagen, daß auch ein Mensch Bedürfnisse hat. Oder hast du dich davon schon so weit entfernt?«
»Sicherlich nicht. Was willst du?«
»Gibt es hier auch eine Toilette?«
Sie warf den Kopf zurück. Jetzt kicherte sie. »Herrlich, eine Frage, wirklich. Aber ich kann dich verstehen. Ja, es gibt hier eine Toilette, John.«
»Dann würde ich sie gern besuchen.«
Sie schaute mich an. »Willst du mir sagen, welche Fesseln ich dir lösen soll?«
»Zumindest die an den Füßen.«
Das gefiel ihr nicht so gut. Sie zögerte, doch sie nickte schließlich. »Ja, ich bin ja Mensch und möchte nicht, daß du dir in die Hose machst. Aber eines kann ich dir sagen. Versuche keine Tricks, ich bin immer besser als du. Auch wenn Lintock nicht hier ist. Ich habe die Waffe, verstehst du?«
»Ist schon klar.«
Sie kam näher und bückte sich. Ich lag auf dem Rücken und schielte über meinen ausgestreckten Körper hinweg, während Madeleine mir den Draht von den Füßen zu lösen begann. Sie wickelte ihn ab. Ich merkte, daß er sich löste, denn das Blut konnte wieder freier strömen, was mit Schmerzen verbunden war. Ich biß die Zähne zusammen und hatte das Gefühl, meine Beine würden um das Dreifache in Höhe der Füße anschwellen. Mein Gesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck, über den sich Madeleine Bishop amüsierte.
»Ja, es tut weh. Als Bulle sollte man doch Schmerzen aushalten können.«
»Ich sage auch nichts.«
Sie wickelte weiter, und schließlich hatte sie mich von den Fußfesseln befreit. Sie richtete sich auf, zog meine Beretta und zielte damit auf mich. »Soll ich jetzt die Arme heben?«
»Nein, aber du kannst aufstehen.«
»Wie spät ist es?«
»Hoher Mittag.« Sie lächelte. »Noch ein paar Stunden, dann freut sich Carl auf dich.«
Das konnte ich mir gut vorstellen, aber meine Gedanken drehten sich um die abgelaufene Zeit. Da waren schon einige Stunden vergangen, und ich
Weitere Kostenlose Bücher