1099 - Der Werwolf und die Tänzerin
meiner Landsitze, den mein Großvater damals erworben hat. Der Landsitz ist recht groß. Wir sind auch in der Holzgewinnung tätig, und so wirft der Besitz einen kleinen Gewinn ab.«
»In ihn hat sich Ihre Tochter also verliebt?«
»Leider.«
Jane lächelte und schüttelte dabei den Kopf. »Wenn Sie alles so genau wissen, Mr. Bishop, warum benötigen Sie dann mich? Ich kann Ihnen nur das gleiche sagen.«
»Ja«, sagte er und strich über sein Kinn. Er wirkte sehr nachdenklich. »Da gibt es leider ein Problem.«
»Welches?«
»Es geht um Carl Lintock selbst.«
Jane fragte: »War er nicht standesgemäß genug?«
Bishop schaute kurz hoch. »Nein, darum ging es primär nicht, sondern um ihn selbst. Er ist wohl nicht der, der er zu sein vorgibt. Er hat ein Geheimnis, das weiß ich. Es muß schrecklich sein. Es muß tief in ihm sitzen. Ich weiß nicht genau, wie ich mich ausdrücken soll, aber ich fürchte, daß er nicht der richtige Partner für meine Tochter ist, die ich vor einem großen Unheil bewahren will.«
»Was wissen Sie über Lintock?«
»Wenig.«
»Sagen Sie es mir trotzdem.«
»Er arbeitet bei mir. Er hat keine Vergangenheit. Er ist ein geheimnisvoller Fremder. Ein rätselhaftes Wesen. Da kommt einiges zusammen, und ich stehe vor einer Aufgabe, die ich leider nicht lösen kann. Er ist nicht der richtige Umgang für meine Tochter, davon bin ich überzeugt, und dich denke auch, daß er sehr gefährlich ist. Er ist eine Maske, Miß Collins. Er ist nicht der Mann, den er spielt. Hinter ihm steckt etwas anderes. Sein Äußeres ist nur Maske.«
»Was könnte dahinterstecken? Haben Sie eine Idee?«
George Bishop zuckte mit den Schultern. Eine Antwort, die Jane Collins nicht gefiel. Es konnte durchaus sein, daß der Mann schon mehr wußte, sich aber nicht traute, es zu sagen. Jane wollte auch nicht mit der Tür ins Haus fallen. Sie beschrieb einen Umweg.
»Daß Ihre Tochter ein Faible für das Theater hat, wissen Sie sicherlich auch?«
»Ja, das weiß ich. Ich habe es erfahren. Sie wollte Künstlerin werden oder ist es geworden. Sie hat sich von unserer Familie getrennt und mit ihren Brüdern gebrochen. Auch unser Kontakt ist abgekühlt, aber ich habe sie nie aus den Augen verloren, das konnte ich nicht, und ich habe sie auch unterstützt.«
»Finanziell oder…«
»Ich bin über sie informiert gewesen und weiß auch, daß sie gern auf einer Bühne steht.«
»Den Tip haben Sie mir ja gegeben.«
»Genau.«
»Waren Sie ebenfalls in dem Theater?«
Bishop nickte.
»Und was haben Sie dort gesehen?«
»Meine Tochter«, gab er zu. »Ich sah sie auf der Bühne, wo sie sich produzierte und glücklich aussah. Aber sie war nicht allein. Ich habe noch jemand gesehen.«
»Einen Schatten?«
George Bishop schluckte. Dann trank er einen Schluck Kaffee und atmete stöhnend aus. »Ja, es war ein Schatten, Miß Collins. Ein bestimmter und kein menschlicher.«
»Sahen Sie einen Wolf?«
Bishop saß starr. Er bekam eine Gänsehaut. Das war deutlich zu sehen. Für einen Moment schloß er die Augen. »Ich weiß nicht, ob es nur ein Schatten gewesen ist, Miß Collins. Zu einem Schatten gehören immer zwei. Erstens der Schatten und zweitens die Person, die ihn produziert. Ja, es war der Schatten eines Tieres, eines Wolfes, den ich auch gehört habe. Also hielt er sich im Hintergrund auf. Soll ich jetzt behaupten, daß sich meine Tochter in einen Wolf oder in ein Tier verliebt hat?«
»In Carl Lintock!« sagte Jane.
Das Gesicht des Mannes rötete sich. »Sagen Sie nicht so etwas. Wer ist dieser Lintock denn? Kein Phantasiegebilde, das weiß ich selbst. Er ist ein Mensch, das muß ich einfach annehmen. Zugleich ist er noch etwas anderes. Oder meine Tochter hat sich etwas anderes gehalten. Einen Wolf, der einen Schatten wirft…«
»Das hat sie nicht, und das hat sie schon!« erklärte Jane.
Bishop verschlug es die Sprache. »Jetzt bringen Sie mich völlig durcheinander. Ich wollte ja, daß Sie herausfinden, wer oder was dieser Mensch nun ist…«
»Das ist mir auch gelungen, Mr. Bishop. Ich kann Ihnen sagen, mit wem sich Ihre Tochter abgibt oder in wen sie sich verliebt hat.«
»Bitte.«
»In einen Werwolf!«
Die Worte waren Jane flüsternd über die Lippen gedrungen, aber George Bishop hatte sie trotzdem verstanden. Seiner Reaktion entnahm Jane, daß er von diesen Worten völlig überrascht worden war.
George Bishop stöhnte leise auf, wischte über sein Gesicht, um direkt danach den Kopf zu
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