11 - Nie sollst Du vergessen
Wiederverheiratung gesagt, okay? Ja. In Ordnung. Wir sprechen uns später, Liebes.« Er legte auf. »Kinder. Scheidung. Der reinste Albtraum.«
Lynley und Barbara murmelten Anteilnehmendes. Leach schlürfte seinen Kaffee und ging zur Tagesordnung über. »Unser Freund Pitchley war heute Morgen samt Anwalt zu einem kleinen Schwatz hier«, sagte er und berichtete, was sie von dem Mann erfahren hatten: dass er Eugenie Davies, das Fahrerfluchtopfer, nicht nur gekannt, sondern zur Zeit der Ermordung ihrer kleinen Tochter mit ihr unter einem Dach gelebt hatte. »Er hieß damals Pitchford.
Warum er seinen Namen geändert hat, verrät er nicht«, schloss Leach. »Ich möchte gern glauben, dass ich irgendwann darauf gekommen wäre, wer er ist, aber ich habe ihn das letzte Mal vor zwanzig Jahren gesehen, und seitdem ist viel Wasser die Themse runtergeflossen.«
»Das ist wahr«, sagte Lynley.
»Aber ich muss sagen, jetzt, wo ich weiß, mit wem wir es zu tun haben, scheint's mir gar nicht ausgeschlossen, dass der Bursche die Hände im Spiel hat - ob Porsche oder nicht. Der hat was auf dem Gewissen, und eine Lappalie ist es nicht. Das spür ich.«
»War er damals beim Tod des Kindes verdächtig?« erkundigte sich Lynley.
Barbara, die ihr Heft herausgeholt hatte, blätterte um und schrieb mit. Das Blatt sah aus, als wäre es voller Soßenflecken.
»Anfangs war gar niemand verdächtig. Bis die Befunde reinkamen, sah es nur nach Fahrlässigkeit aus. Sie wissen schon: Man rennt zum Telefon, während das Kleine in der Wanne sitzt. Das Kind grapscht nach seiner Schwimmente, rutscht aus und schlägt mit dem Kopf gegen die Wanne. Ende. Tragisch, aber es kommt vor.«
Leach trank wieder einen Schluck Kaffee und nahm irgendein Dokument zur Hand, mit dem er herumfuchtelte, während er sprach. »Aber als die Untersuchungsbefunde des Leichnams eingingen, zeigte sich, dass man Blutergüsse und Frakturen festgestellt hatte, für die es keine Erklärung gab. Und damit wurden alle verdächtig. Sehr schnell geriet das Kindermädchen ins Visier, und der Verdacht spitzte sich im Handumdrehen zu. Die Frau war aber auch ein Monster. Die vergess ich bestimmt nie, dieses deutsche Miststück. Eine eiskalte Person war das. Einmal hat sie uns Rede und Antwort gestanden - ein einziges Mal! Dabei ging es um ein Kind, das gestorben war, während es sich in ihrer Obhut befand! Danach hat sie kein Wort mehr gesagt. Weder bei der Kripo, noch zu ihrem Anwalt, noch vor Gericht. Sie hat ihr Schweigen bis nach Holloway durchgehalten und nie auch nur eine Träne vergossen. Aber was kann man von einer Deutschen auch erwarten? Die Leute müssen verrückt gewesen sein, so eine zu engagieren.«
Aus dem Augenwinkel nahm Lynley wahr, dass Barbara Havers mit ihrem Kugelschreiber auf das Blatt Papier klopfte, das sie vor sich hatte. Er drehte ein wenig den Kopf zu ihr hin und sah, dass sie Leach mit zusammengekniffenen Augen fixierte. Intoleranz jeglicher Art - vom Fremdenhass bis zur Frauenfeindlichkeit - konnte sie nicht ausstehen, und er sah ihr an, dass sie nahe dran war, eine Bemerkung loszulassen, die sie dem Chief Inspector gewiss nicht sympathischer machen würde. Ehe es dazu kommen konnte, sagte er: »Ihre deutsche Herkunft hat also gegen sie gesprochen?«
»Ihre miese deutsche Mentalität hat gegen sie gesprochen.«
»›An den Stranden kämpfen wir sie nieder‹«, murmelte Barbara.
Lynley schoss einen scharfen Blick auf sie ab. Sie schoss zurück.
Leach hatte entweder nichts gehört, oder er hielt es für klüger, Barbara Havers nicht zu beachten. Lynley war froh darüber. Interne Zwistigkeiten über Fragen von Political Correctness brauchten sie jetzt wirklich nicht.
Leach lehnte sich in seinem Sessel zurück und sagte: »Außer dem Terminkalender und den Nachrichten auf dem Anrufbeantworter haben Sie nichts im Haus gefunden?«
»Bisher nicht«, antwortete Lynley. »Eine Postkarte von einer Frau namens Lynn, aber die scheint mir im Moment nicht von Belang zu sein. Das Kind der Frau ist vor kurzem gestorben, und Mrs. Davies war anscheinend bei der Beerdigung.«
»Sonst war keine Korrespondenz da?«, fragte Leach. »Briefe, Rechnungen oder so was?«
»Nein«, sagte Lynley. »Nichts.« Er sah Barbara nicht an. »Aber auf dem Dachboden haben wir eine Seekiste voller Unterlagen gefunden, die sich alle auf ihren Sohn beziehen. Zeitungen, Zeitschriften, Konzertprogramme. Major Wiley sagte uns, dass Gideon Davies und seine Mutter keinerlei Kontakt
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