11 - Nie sollst Du vergessen
hatten, aber nach dieser Materialsammlung zu urteilen, würde ich meinen, dass nicht Mrs. Davies diese Trennung wollte.«
»Der Sohn?«, fragte Leach.
»Oder der Vater.«
»Womit wir wieder bei der Auseinandersetzung auf dem Parkplatz wären.«
»Möglich, ja.«
Leach trank den Rest seines Kaffees aus und druckte den Plastikbecher zusammen. »Aber merkwürdig ist es schon, meinen Sie nicht auch, dass in ihrem Haus so wenig Persönliches zu finden war«, sagte er.
»Sie scheint sehr spartanisch gelebt zu haben, Sir.«
Leach fixierte Lynley. Lynley fixierte Leach. Barbara Havers schrieb wie eine Wilde in ihr Heft. Ein Moment verstrich, in dem keiner irgendetwas zugab. Lynley wartete darauf, dass der Chief Inspector ihm die Information geben würde, die er haben wollte. Leach tat es nicht. Er sagte nur: »Gut, dann nehmen Sie sich Davies vor. Er dürfte nicht schwer zu finden sein.«
Wenig später waren Lynley und Barbara wieder draußen, auf dem Weg zu ihren Autos. Barbara zündete sich eine Zigarette an und sagte: »Was wollen Sie mit den Briefen tun, Inspector?«
Lynley tat nicht so, als verstünde er nicht. »Ich werde sie Webberly zurückgeben - irgendwann«, sagte er.
»Hab ich das richtig verstanden?« Barbara zog an ihrer Zigarette und stieß gereizt eine Rauchwolke aus. »Wenn rauskommt, dass sie die Briefe mitgenommen und nicht abgegeben - dass wir sie mitgenommen und nicht abgegeben haben ... zur Hölle, Inspector, ist Ihnen klar, was das heißt? Und dann noch der Computer? Wieso haben Sie Leach von dem auch nichts gesagt?«
»Ich werde es ihm schon noch sagen, Havers«, entgegnete Lynley. »Sobald ich weiß, was da alles gespeichert ist.«
»Heiliger Strohsack!«, schrie Barbara. »Das ist Unterdrückung -«
»Hören Sie, Barbara, es gibt nur einen Weg, wie herauskommen kann, dass wir den Computer und die Briefe haben, und Sie wissen, welchen ich meine.« Er sah sie ruhig und unverwandt an.
Ihre Miene veränderte sich. »Mensch, Inspector«, sagte sie beleidigt, »ich bin keine Petze.«
»Darum arbeite ich mit Ihnen zusammen, Barbara.« Er öffnete die Tür zu seinem Bentley und sagte über das Wagendach hinweg:
»Wenn man mich zu dem Fall hinzugezogen hat, um Webberly Rückendeckung zu geben, dann möchte ich gern, dass man mir das ausnahmsweise klipp und klar ins Gesicht sagt. Und Sie?«
»Ich? Ich möchte vor allem keinen Ärger«, antwortete Barbara.
»Mir reicht's, dass ich vor zwei Monaten beinahe rausgeflogen wäre.« Ihr Gesicht war bleich und hatte einen Ausdruck, den er mit der kampflustigen Person, mit der er seit mehreren Jahren zusammenarbeitete, nur schwer in Einklang bringen konnte. Sie hatte in den vergangenen fünf Monaten beruflich einiges einstecken müssen, was sie auch psychisch erschüttert hatte, und Lynley sah ein, dass er ihr die Möglichkeit geben musste, sich vor einer weiteren Erfahrung dieser Art zu schützen. Das schuldete er ihr.
»Barbara«, sagte er deshalb, »möchten Sie aussteigen? Das ist kein Problem. Ein Anruf und -«
»Nein, ich will nicht aussteigen.«
»Aber es könnte ganz schön brenzlig werden. Es ist schon brenzlig. Ich könnte es vollkommen verstehen, wenn Sie -«
»Reden Sie keinen Quatsch, Inspector. Ich bin dabei. Ich find nur, wir sollten ein bisschen vorsichtiger sein.«
»Ich bin vorsichtig«, versicherte Lynley. »Die Briefe von Webberly spielen in diesem Fall keine Rolle.«
»Hoffentlich liegen Sie mit dieser Ansicht richtig«, meinte Barbara. Sie trat vom Wagen weg. »Also, dann - wie machen wir weiter?«
Lynley überlegte einen Moment, wie sie am besten an den nächsten Abschnitt ihrer Aufgabe herangehen sollen. »Sie sehen aus, als hätten Sie spirituellen Rat nötig«, sagte er. »Schauen Sie mal, ob Sie das Kloster der Unbefleckten Empfängnis aufstöbern können.«
»Und Sie?«
»Ich werde Leachs Vorschlag folgen und mir Richard Davies vorknöpfen. Wenn er seine geschiedene Frau in letzter Zeit gesehen oder gesprochen hat, weiß er vielleicht, was für eine Sünde sie Wiley beichten wollte.«
»Vielleicht war er selbst die Sünde«, meinte Barbara.
»Das ist natürlich auch eine Möglichkeit«, bestätigte Lynley.
Jill Foster war bei der Abarbeitung ihrer Projektliste, die sie das erste Mal als fünfzehnjähriges Schulmädchen aufgestellt hatte, nie auf größere Schwierigkeiten gestoßen. Den ganzen Shakespeare lesen (mit zwanzig erledigt); per Anhalter durch Irland reisen (mit einundzwanzig erledigt); in Cambridge in
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