11 - Nie sollst Du vergessen
helfen, besser Englisch zu sprechen?«, hatte sie ihn gefragt. »Ich bin ein Jahr hier. Ich lerne nicht so gut, wie ich möchte. Ich wäre dir so dankbar.« Ihr etwas harter Akzent war die charmante Variante der grässlichen Cockney-Laute, die loszuwerden er so hart geschuftet hatte.
Er sagte ihr seine Hilfe zu, weil sie in ihrem Bitten so ernsthaft war. Er sagte sie ihr zu, weil sie beide - obwohl sie das nicht wissen konnte und er sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als es ihr zu verraten - vom selben Schlag waren. Ihre Flucht aus Ostdeutschland, wenn auch weit dramatischer und beeindruckender, spiegelte seine eigene frühere Flucht wider. Die Motive mochten unterschiedlicher Art sein, der Kern war derselbe.
Er und Katja sprachen die gleiche Sprache. Wenn er ihr mit simplen Grammatik- und Ausspracheübungen helfen konnte, an Boden zu gewinnen, tat er das gern.
Sie setzten sich in Katjas Freizeit zusammen, wenn Sonia schlief oder bei ihrer Familie war. Sie trafen sich in seinem oder ihrem Zimmer, wo jeder einen Tisch hatte, auf dem die Grammatikbücher und das Tonbandgerät für ihre Sprechübungen knapp Platz hatten. Sie nahm es sehr ernst mit ihren Bemühungen um richtige Betonung, Aussprache und Artikulation. Ihre Bereitschaft, in einer Sprache zu experimentieren, die ihr so fremd war wie Yorkshirepudding, zeigte viel Mut. Dieser Mut war das Erste, was James Pitchford an Katja Wolff bewunderte. Die Kühnheit, die sie über die Berliner Mauer getragen hatte, war der Stoff, aus dem Helden gemacht wurden; er wollte ihr nacheifern.
Ich werde mich deiner würdig erweisen, schwor er ihr insgeheim, wenn sie beieinander saßen und sich mit den Tücken der unregelmäßigen Verben plagten. Und im gelben Lichtschein, der auf die herabfiel, stellte er sich vor, er würde ihr seidiges blondes Haar berühren, seine Finger hindurchziehen, seine Weichheit auf seiner nackten Brust spüren, wenn diese tolle Frau sich aus seiner Umarmung erhob.
Das Babyfon, das immer auf der Kommode lag, pflegte James Pitchford gnadenlos aus diesen Träumereien zu reißen. Zwei Stockwerke tiefer wimmerte das Kind, und Katja hob den Kopf von den Büchern.
»Es ist nichts«, sagte er jedes Mal, weil er nicht wollte, dass diese gemeinsame Stunde, die ihm so viel bedeutete und ohnehin schon viel zu kurz war, endete.
»Es ist die Kleine. Ich muss gehen«, sagte Katja.
»Warte noch.« Er nutzte die Gelegenheit, um seine Hand auf die ihre zu legen.
»Ich kann nicht, James. Wenn sie weint und Mrs. Davies merkt, dass ich nicht bei ihr bin ... Du kennst sie doch.
Das ist nun mal mein Job.«
Job?, dachte er. Sklavenarbeit war das. Zu jeder Tagesund Nachtzeit verfügbar sein, alles tun, was gerade anfiel. Die Betreuung eines Kindes, das ständig krank war, verlangte mehr als die gutwilligen Bemühungen einer jungen Frau, die praktisch keine Erfahrung hatte.
Selbst mit seinen fünfundzwanzig Jahren sah James Pitchford ganz klar, dass Sonia Davies professionelle Pflege brauchte. Warum sie die nicht bekam, war eines der Rätsel in diesem Haus. Aber er war nicht berufen, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen. Er musste den Kopf unten und sich selbst im Hintergrund halten.
Wenn aber Katja mitten in der Englischstunde aufsprang, um sich um das Kind zu kümmern, wenn er sie in der Nacht aus dem Bett stolpern und die Treppe hinunterlaufen hörte, weil das kleine Mädchen Hilfe brauchte, wenn er bei der Heimkehr von der Arbeit Katja damit beschäftigt fand, das Kind zu füttern, zu baden, auf diese oder jene Weise zu beschäftigen und zu unterhalten, dachte er oft, die arme Kleine hat doch eine Familie. Was tut die denn für sie?
Nichts, fand er. Sonia Davies wurde Katjas Obhut überlassen, während die anderen um Gideon herumtanzten.
Konnte man ihnen das zum Vorwurf machen, fragte sich James. Und selbst wenn ja, hatten sie denn eine Wahl? Die Familie hatte sich schon lange vor Sonias Geburt in das Unternehmen Gideon gestürzt. Sie hatte sich bereits auf einen Weg festgelegt, und die Anwesenheit Raphael Robsons und Sarah-Jane Becketts in ihrem Kreis war der beste Beweis dafür.
Mit dem Gedanken an Robson und die Beckett trat Pitchley-Pitchford in die Bahnhofshalle und warf die erforderlichen Münzen in den Fahrkartenautomaten. Auf dem Weg zum Bahnsteig beschäftigte ihn die erstaunliche Tatsache, dass er seit Jahren weder an Robson noch an Sarah-Jane Beckett gedacht hatte. Bei Robson war das vielleicht nicht weiter verwunderlich, da der
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