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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gehabt, so hätte er sie gegen sich gewendet und aus dem Schmerz Befriedigung gezogen. So aber hatte er nur die Broschüren auf dem Sekretär, diese leeren Symbole seiner kindischen Illusionen.
    Glatt und glänzend lagen sie in seiner Hand. Zuerst knüllte er sie zusammen, dann riss er sie in Fetzen. In seiner Brust machte sich eine Beklemmung breit, als verschlossen sich langsam seine Arterien, aber er wusste, es war das Sterben von etwas anderem und für ihn weit Wichtigerem als nur das seines Altmännerherzens.

12
    Unmittelbar nach dem schwarzen Constable kam Naseesha Newland in den Laden und bot Yasmin einen willkommenen Anlass, den Polizisten zu ignorieren. Das junge Mädchen blieb höflich ein paar Schritte zurück, offensichtlich in der Annahme, der Mann sei geschäftlich hier und vor ihr an der Reihe, bedient zu werden. Die Newland-Kinder waren alle so gut erzogen und aufmerksam.
    »Wie geht's deiner Mutter heute?«, fragte Yasmin das Mädchen, ohne den Constable zu beachten.
    »Ganz gut bis jetzt«, antwortete Naseesha. »Sie war vor zwei Tagen wieder bei der Chemo, aber so schlimm wie's letzte Mal hat sie nicht mehr reagiert. Ich weiß zwar nicht, was das bedeutet, aber wir hoffen einfach das Beste. Sie wissen schon.«
    Das Beste hieß noch fünf Jahre, mehr hatten die Arzte Mrs. Newland nicht versprechen können, als sie den Tumor in ihrem Gehirn entdeckt hatten. Ohne Behandlung noch anderthalb Jahre, erklärten sie. Mit Behandlung vielleicht fünf. Aber das wäre das Maximum, es sei denn, es geschähe ein Wunder, und Wunder waren in der Geschichte der Medizin dünn gesät. Yasmin fragte sich, wie man sich fühlte, wenn man sieben Kinder großzuziehen hatte und wusste, dass man zum Tod verurteilt war.
    Sie holte Mrs. Newlands Perücke aus dem Hinterzimmer und trug sie auf dem Styroporkopf in den Laden.
    Naseesha sagte: »Aber die sieht ja ganz anders -«
    »Es ist eine neue«, unterbrach Yasmin. »Ich glaube, die Frisur wird deiner Mutter gefallen. Wenn nicht, bringst du die Perücke zurück, und wir machen ihr wieder die alte Frisur. Okay?«
    Naseesha strahlte. »Das ist echt nett von Ihnen, Mrs. Edwards.«
    Sie klemmte sich den Perückenkopf unter den Arm. »Vielen Dank. Das wird bestimmt eine Überraschung für Mama.«
    Sie nickte dem Constable höflich zu und lief auf die Straße hinaus, ehe Yasrnin etwas erwidern konnte, um das Gespräch zu verlängern. Als die Tür hinter dem Mädchen zufiel, sah sie den Schwarzen an und wurde sich bewusst, dass sie sich nicht an seinen Namen erinnern konnte. Es war ihr eine Genugtuung.
    Entschlossen, ihn weiterhin wie Luft zu behandeln, sah sie sich im Laden nach einer Arbeit um. Jetzt war vielleicht ein guter Moment, um ihren Schminkkoffer zu inspizieren und festzustellen, was sie nach der Verschönerung der sechs Frauen an Kosmetika nachbestellen musste. Sie holte den Koffer wieder heraus, öffnete die Schnappschlösser und begann, Cremes und Lotionen, Pinsel, Schwämmchen, Wimperntusche, Lidschatten, Lippenstifte, Rouge und Konturenstifte durchzusehen. Jedes Stück legte sie nach Begutachtung auf den Verkaufstisch.
    Der Constable sagte: »Kann ich Sie kurz sprechen, Mrs. Edwards?«
    »Sie haben mich gestern schon gesprochen. Und nicht nur kurz, wenn ich mich recht erinnere. Wer sind Sie überhaupt?«
    »Kriminalpolizei.«
    »Ich meine, wie heißen Sie? Ich weiß Ihren Namen nicht.«
    Er nannte ihn ihr, und sie war irritiert. Ein Nachname, der auf seine Herkunft verwies, war ja in Ordnung. Aber dieser Vorname - Winston - offenbarte doch ein absolut würdeloses Verlangen, Engländer zu sein! Er war schlimmer als Colin oder Nigel oder Giles. Was hatten sich seine Eltern nur gedacht, als sie ihn Winston genannt hatten, als würde er einmal ein großer Politiker werden oder so was? Das war doch bescheuert.
    »Ich muss arbeiten, wie Sie wohl selbst sehen können«, sagte sie. »Ich habe noch einen Termin -« Sie warf einen Blick in ihren Terminkalender, der für ihn zum Glück nicht einzusehen war. »In zehn Minuten. Was wollen Sie noch von mir? Machen Sie's kurz.«
    Er war sehr groß und kräftig. Sie hatte diesen Eindruck schon am vergangenen Abend gehabt, erst im Aufzug und dann in der Wohnung. Aber irgendwie wirkte er heute, hier im Laden, noch wuchtiger, vielleicht weil sie mit ihm allein war, ohne Daniel als Ablenkung. Er schien den Raum auszufüllen, ein stattlicher Mann mit breiten Schultern und schmalen Händen, mit einem Gesicht, das freundlich wirkte - weil

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