11 - Nie sollst Du vergessen
Sibirien.«
»Stimmt.«
Sie warf ihm einen scharfen Blick zu, erwartete, in seiner Miene den Sarkasmus zu finden, den sie in seiner Stimme nicht wahrnehmen konnte, und sah nur eine Zärtlichkeit in seinen Augen, von der sie genau wusste, was sie bedeutete. Es war eine Zärtlichkeit, die nur für den Augenblick künstlich war und nicht mehr besagte, als dass er es ihr gleich hier, im Laden, besorgen würde, wenn sie sich dazu überreden ließ, und wenn er meinte, damit ungestraft davonkommen zu können; dass er es ihr sogar dann besorgen würde, wenn er sie mit Gewalt dazu bringen müsste, weil es beweisen würde, dass er die Macht hatte.
Sie sagte: »So wie ich's gehört hab, arbeiten die Bullen ganz anders.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte er, und schaffte es, sie wirklich überrascht anzusehen.
»Sie wissen, was ich meine. Sie waren doch auf der Polizeischule, oder nicht? Bullen gehen immer davon aus, dass Knastbrüder auf die Methoden zurückgreifen, die ihnen vertraut sind, und das sind dann die Leute, die sie suchen, wenn ein Verbrechen begangen worden ist. Die begeben sich bei ihren Ermittlungen nicht auf völlig neues Terrain, wenn sie nicht unbedingt müssen, weil sie wissen, dass das Zeitverschwendung wäre.«
»Meiner Meinung nach verschwende ich meine Zeit hier nicht. Und ich hab so das Gefühl, dass Sie das wissen, Mrs. Edwards.«
»Ich hab Roger Edwards erstochen. Mit einem Messer. Ich hab ihn nicht mit dem Auto überfahren. Wir hatten zu der Zeit nicht mal ein Auto, Roger und ich. Wir hatten unseren Wagen verkauft, als uns das Geld ausging und Roger dringend was für seine Sucht tun musste.«
»Das tut mir echt Leid«, sagte Nkata. »Das muss schlimm für Sie gewesen sein.«
»Wenn Sie wissen wollen, was schlimm ist, dann probieren Sie's mal mit fünf Jahren im Knast.« Sie wandte sich von ihm ab und widmete sich wieder der Bestandsaufnahme ihrer Kosmetika.
Er sagte: »Mrs. Edwards, Sie wissen, dass ich nicht Ihretwegen hier bin.«
»Ich weiß nichts dergleichen, Constable. Aber Sie können jederzeit gehen, wenn Sie nicht mit mir reden wollen. Ich bin allein hier und werde allein sein, bis meine nächste Kundin kommt. Aber vielleicht wollen Sie ja mit der reden. Sie hat Eierstockkrebs, aber sie ist echt nett und sagt Ihnen bestimmt, wann ich das letzte Mal oben in Hampstead war. Deswegen sind Sie doch hier, oder? Weil eine Schwarze die Frechheit hatte, in Hampstead mit ihrem Auto rumzufahren, und jetzt regt sich das ganze Viertel darüber auf, und Sie versuchen rauszukriegen, wer's war.«
»Sie wissen genau, dass es nicht so ist.«
Er schien über unerschöpfliche Geduld zu verfügen, und Yasmin fragte sich, wie weit sie es noch treiben musste, ehe er wütend wurde.
Sie drehte ihm den Rücken zu. Sie hatte nicht die Absicht, ihm irgendetwas zu bieten, am wenigsten das, worauf er es offensichtlich abgesehen hatte.
Er sagte: »Was war mit Ihrem Jungen, während Sie im Gefängnis saßen, Mrs. Edwards?«
Sie fuhr so heftig herum, dass die Perlen an den Enden ihrer Zöpfe ihr gegen die Wangen schlugen. »Lassen Sie Daniel aus dem Spiel. Versuchen Sie bloß nicht, mich mit Daniel unter Druck zu setzen. Ich hab nichts getan, und das wissen Sie, verdammt noch mal, auch ganz genau!«
»Ja, ich denke, das ist wahr. Aber es ist auch wahr, dass Katja Wolff diese Frau kannte, Mrs. Edwards. Diese Frau, die in Hampstead überfahren wurde. Das war vor zwei Tagen, Mrs. Edwards, und Katja Wolff hat früher bei dieser Frau gearbeitet. Vor zwanzig Jahren. Am Kensington Square. Sie war die Kinderfrau ihrer kleinen Tochter. Wissen Sie, von welcher Frau ich spreche?«
Panik überfiel Yasmin wie ein wütender Bienenschwarm. »Aber Sie haben doch den Wagen gesehen!«, rief sie laut. »Erst gestern Abend. Sie haben gesehen, dass er nicht in einen Unfall verwickelt war.«
»Ich habe gesehen, dass einer der vorderen Scheinwerfer kaputt ist. Und weder Sie noch Katja Wolff konnten mir sagen, wie das passiert ist.«
»Katja hat niemanden überfahren! Bestimmt nicht. Oder wollen Sie behaupten, Katja könnte eine Frau überfahren, ohne dass dabei mehr zu Bruch geht als ein einziger Scheinwerfer?«
Er antwortete nicht, sondern ließ die Frage und alles, was sie einschloss, vibrierend in der Stille hängen. Sie erkannte ihren Fehler. Er hatte mit keinem Wort gesagt, dass Katja die Person war, die er suchte. Sie selbst, Yasmin, hatte das Gespräch zu diesem Punkt geführt.
Wütend über ihre Kopflosigkeit, begann
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