11 - Nie sollst Du vergessen
gehetzten Ton in seiner Stimme nachzudenken. Er wollte keine Mutmaßungen anstellen, solange er keine Fakten hatte, aber er konnte seine Gedanken nicht zügeln. Erst der eine Unfall mit Fahrerflucht, jetzt der Nächste.
In der Annahme, dass es in der King's Road um diese Zeit ruhig sein würde, fuhr er direkt in Richtung Sloane Square, umrundete den von welkem Laub verstopften Brunnen und brauste an schicken Boutiquen und eleganten Stadthäusern vorbei durch Chelsea. Er sah einen Streifenpolizisten, der vor dem Rathaus mit einer in Wolldecken gehüllten Gestalt sprach, die dort in der Toreinfahrt hockte, aber das war das einzige Zeugnis nächtlichen Lebens, dem er, abgesehen von einigen Autos, auf seiner Fahrt nach Hammersmith begegnete.
Kurz vor dem King's College bog er nach rechts ab, um die Abkürzung zur Lillie Road zu nehmen, die ihn am schnellsten an das Charing Cross Hospital heranführen würde. Erst als er den Wagen auf dem Parkplatz abgestellt hatte und zur Notaufnahme sprintete, sah er auf die Uhr. Seit Hilliers Anruf waren keine zwanzig Minuten vergangen.
Hillier - unrasiert und hastig angekleidet wie Lynley - war im Warteraum der Notaufnahme, wo er sichtlich angespannt mit einem Constable sprach, während drei andere Beamte in Uniform nervös dabei standen. Als er Lynley bemerkte, entließ er seinen Gesprächspartner mit einem Fingerschnippen und ging Lynley zur Mitte des Raums entgegen.
Trotz der nächtlichen Stunde war in der Notaufnahme, vermutlich wegen des Regens, der die Sicht schlecht und die Straßen glitschig machte, einiges los. Als jemand mit lauter Stimme eine »Fuhre aus Earl's Court« ankündigte, was hieß, dass hier binnen Minuten die Hölle los sein würde, nahm Hillier Lynley beim Arm und führte ihn durch Korridore und über Treppen zu den Operationssälen hinauf.
Erst dort, im privaten Warteraum für Angehörige, der leer war, fragte Lynley: »Wo ist Frances? Ist sie nicht -«
»Randie hat uns angerufen«, unterbrach Hillier. »Gegen Viertel nach eins.«
»Miranda? Wieso denn das?«
»Frances hat sie in Cambridge angerufen. Malcolm war nicht zu Hause. Frances war zu Bett gegangen und wachte auf, als draußen der Hund bellte wie ein Verrückter. Er war vorn im Garten, mit der Leine am Halsband. Aber Malcolm war nicht bei ihm. Frances bekam Angst und rief Randie an. Die rief dann uns an. Als wir bei Frances ankamen, hatte das Krankenhaus sich schon bei ihr gemeldet und ihr mitgeteilt, dass Malcolm eingeliefert worden war. Frances glaubte, er hätte einen Herzinfarkt erlitten, während er mit dem Hund spazieren war. Sie weiß immer noch nicht, was wirklich passiert ist.« Hillier seufzte. »Es war unmöglich, sie aus dem Haus herauszulotsen. Bis zur Tür ist sie mitgekommen, wir hatten die Tür sogar schon offen. Laura hatte sie auf der einen Seite untergehakt, ich auf der anderen. Aber kaum spürte sie die Nachtluft, da war's aus. Sie wurde völlig hysterisch. Und der verdammte Hund gebärdete sich wie ein Wahnsinniger.«
Hillier wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab.
Zum ersten Mal zeigte Hillier, dieser knallharte Vorgesetzte, Gefühle.
»Wie schlimm ist es?«, fragte Lynley.
»Er hat einen Schädelbruch, und sie mussten den Kopf aufmachen, um ein Blutgerinnsel zu entfernen. Außerdem ist eine Schwellung aufgetreten, um die sie sich ebenfalls kümmern. Sie tun irgendetwas mit einem Monitor - ich weiß nicht mehr, was. Es hat mit Druck zu tun. Sie setzen einen Monitor ein, um den Druck zu überwachen. Kann sein, dass sie ihm das Ding ins Gehirn einführen. Ich weiß es nicht.« Er steckte sein Taschentuch wieder ein und räusperte sich rau. »Mein Gott«, sagte er und starrte ins Leere.
»Soll ich Ihnen einen Kaffee holen, Sir?«, fragte Lynley und war sich dabei der Situation in ihrer ganzen Unbehaglichkeit bewusst. Zwischen ihm und Hillier herrschte von jeher Krieg. Hillier hatte nie ein Hehl aus seiner Abneigung gegen Lynley gemacht, und Lynley hatte wiederum nicht mit seiner Verachtung für Hilliers penetrante Postenhascherei hinter dem Berg gehalten. Jetzt aber zeigte sich der Assistant Commissioner, vom schweren Unfall seines Schwagers und langjährigen Freundes erschüttert, in einem anderen Licht. Er war plötzlich verletzlich geworden, und Lynley wusste nicht recht, wie er mit diesen neuen Seiten des Mannes umgehen sollte.
»Sie sagten, sie müssten wahrscheinlich den größten Teil seiner Milz entfernen«, fuhr Hillier fort. »Die Leber hoffen sie,
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